
Vertikalpass
·8. Mai 2025
Bester 10er des VfB? Das Inselbübchen!

Vertikalpass
·8. Mai 2025
Asgeir Sigurvinsson sagte unlängst dem Bayern-Magazin „51“ zu seinem Wechsel von Standard Lüttich 1981 nach München: „Fast wäre ich beim 1. FC Köln gelandet. Aber dann hat Uli Hoeness angerufen und ich musste nicht lange überlegen“. Ich musste ebenfalls nicht lange überlegen: Sigurvinsson war der größte Zehner des VfB, sorry Hansi Müller, sorry Krassimir Balakov.
Bereits 1980 erschien ein Buch über ihn mit dem Titel „Knattspyrnuaevintyri Eyjapeyjans“, auf Deutsch: „Das Fußballmärchen des Inselbübchens“, es steht wohl in jedem Bücherregal eines sportlich interessierten isländischen Haushalts – und in Island interessiert sich jeder für Sport. Geboren auf Vestmannaeyjar, auch Schauplatz eines Europapokalspiels des VfB 1997 (Endstand 1:3, 2x Fredi Bobic, Jonathan Akpoborie), pfiffen Sigurvinsson ständig heftige Stürme um die Ohren, als Schulkind bekam er manchmal sogar windfrei. Wahrscheinlich hat er sich dadurch in seiner Jugend eine gewisse Stoik zugelegt, denn Sigurvinsson hatte mit Egon Coordes, Arie Haan, Helmut Benthaus, Otto Baric und Willi Entenmann fünf Trainer erlebt, die unterschiedlicher nicht sein konnten. „Siggi“ blieb jedoch immer derselbe:
Voller Eleganz, frei von Eitelkeit und Exzentrik, wenn man von den trotzig herunter gerollten Stutzen absieht. Nachdem Hansi Müller über den Brenner ging zu Pizza, Pasta und Prosecco nach Mailand, bezeichneten ihn kurz nach seiner Ankunft beim VfB 1982 die Journalisten ganz einfallsreich als „Eismeer-Zico“. Benannt nach dem genialen brasilianischen Mittelfeldregisseur, der in der wohl besten Selecao aller Zeiten mit Socrates, Falcao, Cerezo und Junior spielte.
Sigurvinsson kam nach nur einem Jahr in München vom Rekordmeister nach Stuttgart und es hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass Paul Breitner für den Transfer zum VfB gesorgt hatte. Der Weltmeister von 1974 fürchtete wegen des Isländers um seinen eigenen Platz im Team. Kein Wunder, neben Sigurvinsson wirkte Breitner wie ein Holzfuss.
In unserer Fußballfibel schrieben wir: “Der Isländer hatte die Haare schön wie Johan Cruyff, den Blick für den freien Raum wie Bernd Schuster und die Anpassungsfähigkeit eines Chamäleons. Er machte immer genau das, was das Spiel des VfB erforderte. Er ließ sich in das defensive Mittelfeld fallen, um der gegnerischen Manndeckung zu entgehen. Er wich auf den Flügel aus, wenn der Gegner die Zentrale verteidigte. Er konnte sich mit kurzen Pässen nach vorne kombinieren und mit langen Pässen das Spielfeld öffnen. Es sah immer so leicht aus bei ihm. Am Ende flog der Ball punktgenau dort hin, wo er ihn gerne haben wollte. Außenrist, Innenrist, Vollspann – die Schönheit seiner Pässe und die Eleganz seiner Bewegungen sind bis heute unerreicht.“
Islands Fußballer des Jahrhunderts war ein guter Freistoßschütze, aber in dieser Disziplin übertreffen ihn Hansi Müller und Krassimir Balakov wirklich. In seinem linken Fuß steckte jedoch noch ein bisschen mehr Gefühl, damit dirigierte er das Spiel des VfB, wurde Denker und Lenker und bescherte dem Club mit dem Brustring wunderbare Jahre. Er zauberte auf dem Rasen und verzauberte die Fans.
Er war dabei alles andere als eine Diva, mehr der Typ „stiller Regisseur“, ein echter „Schweigurvinsson”. Er kommunizierte durch sein Passspiel, denn seine Regieanweisungen bestanden nie aus großen Gesten oder markigen Worten, sondern immer aus Ideen und Pässen, die seine Mitspieler besser machten. Natürlich wurde er Meister mit dem VfB (1984), stand 1986 im DFB-Pokalfinale, 1989 im UEFA Cup-Finale gegen Diego Maradonas Neapel und war die prägendste Figur in seinen acht Jahren beim VfB. Und seine Mitspieler hießen Didier Six, Hermann Ohlicher, Karl Allgöwer, Karlheinz Förster, Jürgen Klinsmann und Guido Buchwald – aber auch Nico Claesen, Andreas Merkle und Hans-Peter Makan. 1990 beendete er seine Karriere beim VfB nach 241 Pflichtspielen. Der ehemalige Nationaltrainer Islands ist sicher der feinste Fußballer des Vereins mit dem Brustring.
Nachdem Sigurvinsson den VfB zum Meister gemacht hatte, rief Uli Hoeneß erneut an. Der VfB-Regisseur musste wieder nicht lange überlegen und sagte dem Bayern-Manager ab. Damit wurde Sigurvinsson endgültig zur VfB-Legende.
Heute feiert er seinen 70. Geburtstag. Herzlichen Glückwunsch, Siggi!
Zum Weiterlesen: In unserer Rubrik “vp-History“ findet Ihr viele Porträts zu Legenden des VfB. Von Schlienz bis Klinsmann, von Günther Schäfer bis Osorio, von Didier Six bis Wiggerl Kögl.
Die Süddeutsche Zeitung nennt Sigurvinsson den „Beckenbauer vom Nordatlantik“ und stellt fest, dass er seine schwäbische Vergangenheit nicht verleugnen könne, so oft wie er „a bissle” sagt. Zur SZ meinte Sigurvinsson 2010, dass es “der größte Fehler war, den der VfB je gemacht hat“, als man damals zwar an Rudi Völler vom TSV 1860 München dran war, ihn aber doch nicht verpflichtete und der schließlich zu Werder Bremen wechselte.
Bild: Imago