90PLUS
·11. März 2020
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·11. März 2020
Im Fokus | Mit Giovanni Reyna hat Borussia Dortmund mal wieder ein spannendes Talent in den eigenen Reihen. Der US-Amerikaner gehört mit gerade einmal 17 Jahren zu den jüngsten Bundesliga-Spielern der Geschichte. Auf dem Platz merkt man ihm dies nicht an. Sei es körperlich, mental oder wo es am auffälligsten ist: am Ball.
Giovanni Reyna wechselte vergangenen Sommer aus der Akademie des New York City FC nach Europa, genauer genommen zum BVB. Dortmund wollte nach eigener Aussage das Talent schon im Winter 2018/2019 verpflichten, doch damals scheiterte ein Wechsel aufgrund eines fehlenden EU-Passes. Diesen bekam er in Form der portugiesischen Staatsangehörigkeit, die er dank seiner Mutter erhielt, was den Wechsel endlich offiziell ermöglichte.
Er geht somit denselben Weg wie Ex-BVB-Spieler Christian Pulisic (20, FC Chelsea), welcher zuvor ebenso aus den USA kam und über die Jugend der Borussia den Sprung zu den Profis schaffte. Er gilt für Reyna als Vorbild und stand vor seinem Wechsel mit ihm im Austausch.
Ein paar Leuten war der Name schon vorher ein Begriff. Bekannt ist dieser aufgrund von Giovannis Vater, welcher zeitweise in der Bundesliga für Bayer Leverkusen und den VFL Wolfsburg zwischen 1995 und 2000 auflief. Diesem hat Reyna auch sein fußballerisches Talent zu verdanken. Sein Vater unterstützte ihn und förderte seinen Weg in der Akademie von New York City, in welcher sein Vater damals Sportdirektor war. Der 14-Jährige Reyna hat schon früh die Möglichkeit bekommen sich in der U17 des Clubs zu beweisen und setzte sich schnell durch. Zurückzuführen ist dies, neben seinem offensichtlichen Talent, auf seine weit entwickelte mentale Reife, die er auch aufgrund eines frühen Schicksaalschlages entwickelte.
Sein vier Jahre älterer Bruder Jack verstarb relativ früh an einem Hirnturmor, was Reyna schwer traf. Dieser war sein persönlicher Trainer und größter Bewunderer. Er unterstütze seinen kleinen Bruder jeden Tag. Während des Krankheitsverlaufs und dem damit einhergehenden Verlust lernte Reyna sehr früh was Eigenständigkeit bedeutet. So war er von dort an für seine beiden jüngeren Geschwister verantwortlich. Er selbst bezeichnet diese Phase als die schlimmste Zeit, die er bisher durchgemacht habe und eventuell jemals werde, wie er im Sommer den “Ruhr Nachrichten” aus Dortmund verriet.
Die Eigenschaft vorangehen zu wollen stellte das Ausnahmetalent in allen U-Nationalmannschaften unter Beweis, in welchen er als absoluter Führungsspieler galt. Aufgrund seiner hervorragenden Physis, stach Reyna im Jugendbereich immer heraus. Bei der U17-WM in Brasilien führte er das US-Team sogar als Kapitän auf den Platz. Doch auch bei den Profis fiel er sofort auf. Insbesondere Reynas Auftritt beim DFB-Pokal-Aus in Bremen war bemerkenswert. So kam er auf den Platz und riss das Spiel sofort an sich. Er war Initiator für viele Offensivaktionen und baute das Spiel teils selbst von hinten auf. Der US-Amerikaner war überall zu finden und ließ mit jeder Sekunde seine individuelle Klasse im Verbund mit seinem herausstechenden Talent aufblitzen. So gelang ihm sogar sein erstes Tor im Herrenbereich, wovor er sich stark auf engen Raum gegen mehrere Bremer durchsetzte und den Ball in Perfektion mit viel Effet ins lange Eck schlenzte.
Im Winter 2018/2019 überwies der BVB 15 Millionen Euro für das argentinische Talent Leonardo Balerdi. Im Sommer kam neben Mateu Morey ebenso Tobias Raschl in die erste Mannschaft. Alles Spieler, welche mit großartigem Talent gesegnet sind, aber noch vergeblich auf ihren Durchbruch warten. Dies hängt mit Lucien Favre zusammen, welcher Talente nur dann einsetzt, wenn er ihnen vertraut. Obwohl Morey und Raschl im Sommertrainingslager in den USA dabei waren und beide sogar eine moderate Rolle spielten, war Favre mehr oder weniger damit beschäftigt Reyna in allen Bereichen zu loben. Sei es seine Athletik, sein Spielverständnis oder seine Reife.
Im Verbund mit seiner hohen Spielintelligenz und Athletik stellt Reyna ein geringeres Risiko für Favre da, welche er bekanntlich versucht in erster Linie zu vermeiden. Ein entscheidender Vorteil gegenüber den anderen Talenten. Der junge US-Amerikaner wurde mit so viel Lob überschüttet, dass er im Gegensatz zu Morey, Balerdi und Raschl sich tatsächlich zum erweiterten Kreis der ersten Elf des BVB zählen und sich sogar demnächst Hoffnungen auf einen Startplatz machen darf.
Es sind die Details im Spiel von Reyna, die ihn für Favre wertvoll machen. Bevor der 17-Jährige den Ball bekommt, oder schon gar bevor überhaupt die Möglichkeit besteht, dass er den Ball bekommen könnte, versteht er es perfekt sich vorzugshalber im Halbraum anzubieten und von dort aus mit minimalen, technisch sauberen Kontakten eine große Wirkung zu erzeugen. So weiß er vor der Ballannahme, wie er sich zu drehen hat und was seine nächste Aktion ist. Reyna bewegt sich schlau und ist stets darauf bedacht seinen Rücken im Blick zu behalten, sodass er nach vorne gehend aufdrehen kann.
Als Paradebeispiel dient hier sein Assist zum 2:1 von Haaland in der Champions League gegen PSG: Er wird an der Mittellinie mit dem Rücken zum Tor angespielt, dreht mit nur einem Kontakt sofort Richtung gegnerischer Defensive, nimmt Tempo auf und bedient den freistehenden Haaland. Es war der Siegtreffer und für die Ambitionen Dortmund gold wert (Die Vorschau zum Rückspiel findet ihr HIER!).
Auch wenn Reynas starker Fuß der Rechte ist, ist sein Linker nicht weniger gefährlich. Der Offensivspieler ist schon sehr nah an einer Beidfüßigkeit, auch wenn sich hierbei um eine Erlernte handeln würde. Aber selbst diese hilft ihm seine enorme Intelligenz mit mehr Variabilität auf dem Platz einzubringen. Reyna selbst bezeichnet sich gegenüber “Transfermarkt” als “unterhaltsam, kreativ und selbstlos”. Eine zutreffende Beschreibung. Der US-Amerikaner beteiligt sich gerne am Aufbau im Mittelfeld und ist eine Art Spielmacher. Mit seinen kreativen und präzisen Schnittstellenpässen ist er hervorragend für das Dortmunder Spiel geeignet. Damit einher kommt eine gute Übersicht, welche es ihm oft ermöglicht seine Mitspieler einzusetzen und in gefährliche Situationen zu bringen. Ebenso schießt er sehr gute Standards und kann dem Spiel auch auf diesem Wege neues Leben einhauchen.
Das einzige was ihm aufgrund diesen Spielstils abgeht, ist die direkte Torgefahr. Zwar ist Reyna – wie man im Pokal sehen konnte – immer für einen Schuss aus der Distanz gut, allerdings fehlt ihm noch die Ruhe vor dem Tor. Die Kaltschnäuzigkeit kann er allerdings problemlos noch über die kommenden Jahre entwickeln. Es wäre auch bizarr, wenn ein 17-Jähriger sich schon in allen Bereichen Stärken besitzen würde.
Das Vertrauen des Trainers hat er sich mittlerweile schon erarbeitet und Favre baut Reyna behutsam auf. Es wird nichts überstürzt und man versucht den medialen Hype in Grenzen zu halten. Er ist schon jetzt für Favre eine der ersten Wechseloptionen und dürfte in der Hierarchie mit weiteren guten Leistungen immer weiter aufsteigen. Geht es für ihn so weiter, und die Anzeichen hierfür sind groß, dürfte sich Reyna bald in der ersten Elf festsetzen. Auch wenn seine Zukunft rein von den Anlagen und seiner persönlichen Präferenz eher im Zentrum auf der 10 oder noch besser auf der offensiven 8 einzuschätzen ist, kann er sich hervorragend im momentanen System in den Halbraum-Flügel-Positionen entwickeln. Er kann sich ausprobieren, da er aus dieser Position über eine Absicherung verfügt und kann trotz all dessen ohne Probleme weiter ins Zentrum ziehen, wo er seine Klasse beweisen darf.
Es bleibt abzuwarten, ob der BVB, bei einem möglichen Sancho-Abgang im Sommer, Reyna so sehr vertraut, dass man ihm dessen Kaderplatz direkt übergibt. Das Potenzial hierzu hat er definitiv.
(Photo by Sebastian Widmann/Bongarts/Getty Images)