FC Bayern München
·10. Mai 2025
Der bewegende Abschied von Thomas Müller

FC Bayern München
·10. Mai 2025
Um 20.51 Uhr, die Sonne war verschwunden und der Himmel über Fröttmaning begann sich zunehmend aus einem zuvor strahlenden Blau in Nachtschwärze zu verwandeln, da schnappte sich Thomas Müller die silbern glänzende Meisterschale und kletterte mit ihr hinauf, mitten ins Herz der Südkurve. Dorthin, wo sie ihn zuvor so oft gefeiert und besungen hatten, wo sie zur Mannschaftsaufstellung noch ein letztes Mal seinen Namen gerufen hatten, so inbrünstig und brüllend laut, dass vermutlich sogar im Seismologischen Zentralobservatorium in Hannover die Pegel ausschlugen, als kündige sich eine tektonische Plattenverschiebung im Voralpenland an. Und mindestens so gewaltig schien das ja auch, was nun beim FC Bayern folgen sollte. Dort, wo sie jetzt, während Müller noch hinaufkletterte zu ihnen, wieder tausendfach ein „Müller, Müller“ anstimmten, als könnten sie damit irgendwie doch noch die Zeit und das, was nun unweigerlich kommen würde, noch irgendwie zum Stehen bringen. Doch das, was um kurz vor 18.30 Uhr bereits seinen Lauf genommen hatte, das ließ sich nicht mehr aufhalten.
Aus dem Bauch der Arena war Thomas Müller da ein letztes Mal hinaus zum Aufwärmen gelaufen. Man konnte erkennen, wenn man genau hinsah, wie jede Stufe aus den Katakomben hinauf auf die Rasenebene in ihm arbeitete. Auch wenn er sich noch so anstrengte, es nicht zuzulassen: „Meine letzte deutsche Meisterschale in meinem letzten Heimspiel für den FC Bayern überreicht zu bekommen, weckt selbst in einem alten Hasen wie mir die Emotionen“, hatte er im Interview mit fcbayern.com verraten. Und so lief Müller hinaus in „sein Wohnzimmer“, wie er sagt, zum insgesamt 355. und letzten Mal in ein Heimspiel mit seinem FC Bayern. Und er lief, er passte, er dribbelte und schüttelte sich all die Nervosität, all die Emotionen so vorerst wieder aus dem Körper.
Als dann später beide Mannschaften aufgereiht auf den Anpfiff warteten, folgte die offizielle Verabschiedung. Der Präsident Herbert Hainer, die Vorstandschaft um Jan-Christian Dreesen, Michael Diederich und Max Eberl überreichten Geschenke. Müller wurde von ihnen allen geherzt und gedrückt – und er herzte und drückte zurück. Es war ein warmherziger Moment, an dem man bis ganz hinauf unters Stadiondach erstmals selbst als emotional eher hartgesottener Fan spürte, dass das heute, an diesem 10. Mai 2025, ein Abend werden wird, an den man sich immer erinnern würde. Ein Fußballabend mit seinem FC Bayern voll Freude über die 34. Deutsche Meisterschaft, voll Stolz, dass diese Mannschaft und ihr Trainerstab um Vincent Kompany die Schale so souverän dorthin zurückgebracht hatten, wo sie hingehört. Aber auch ein Abend, an dem Wehmut mitschwang und vor allem große Dankbarkeit - weil eine ganz besondere Ära nach 25 Jahren ihr Ende nehmen sollte.
Zum Glück aber gab es erst noch: Fußball. Der war es auch, der Thomas Müller vor seinen Emotionen rettete: „Jetzt lasst uns spuin“, bat er, nachdem er die Geschenke des Vereins entgegengenommen hatte. Der Anpfiff, er wirkte wie das Ventil auf einem Druckkessel, das jemand nun aufgedreht hatte und wo nun pfeifend und dampfend schwere Emotionen entwichen. Müller rannte, er dirigierte, er passte – so, wie er es immer schon gemacht hatte: soweit ihn seine Beine trugen. Und genau so, wie es die Fans in der Südkurve auch in ihrer beeindruckenden Choreografie zuvor unterstrichen hatten: „Seit 25 Jahren alles für unsere Farben! Thomas Müller“
Seine größte Chance vergab er zwar nach 56 Spielminuten - aber vermutlich wäre das auch zu kitschig geworden. Und es brauchte auch überhaupt kein Müller-Tor mehr an diesem Tag - auch wenn die Fans, seine Fans, kurzerhand aus dem altbekannten „auf geht’s Bayern schieß‘ ein Tor“ ein „auf geht’s Müller schieß‘ ein Tor“ gedichtet hatten. Als die 83. Minute auf der Uhr lief, leuchtete seine Rückennummer 25 auf der Auswechseltafel auf. Thomas Müller stützte beide Arme auf die Knie und blickte kurz zu Boden - es war die erste, deutliche Gefühlsregung des Abends, die starke, schwere Rüstung schien nun einen Augenblick zu fallen.
Doch Thomas Müller, er fasste sich sehr schnell wieder. Er blickte hinauf auf die Ränge, wo auch seine Eltern Klaudia und Gerhard saßen, die ihn vor 25 Jahren als kleinen Bub aus dem Elternhaus in Pähl so oft an die Säbener Straße gefahren hatten. Auf die Ränge, wo die Menschen sich nun allesamt erhoben – und wo man selbst beim heutigen Gegner, bei den Gladbachern, nicht wenige erkennen konnten, die nun respektvoll applaudierten.
Auch die Spieler taten es so. Sie alle waren nun vereint in einer Geste der Zuneigung, der Anerkennung für all die Freude, die Thomas Müller auf den Fußballplätzen mit seinem Spiel verbreitet hatte. Die ersten Spieler umarmten ihn jetzt, Harry Kane war darunter, Joshua Kimmich, Leon Goretzka. Manuel Neuer, der die meisten Profijahre mit ihm als Mitspieler gegangen war, kam dafür sehr weit aus seinem Tor gelaufen. Alle Auswechselspieler, die Betreuer bildeten ein Spalier. Müller lief hindurch, ein jeder klopfte auf die Schulter – er duckte sich hindurch, grinste dazu glücklich, winkte nochmal, klatschte in alle Himmelsrichtungen und hörte erst damit auf, als ihn das kleine Dach, das über der Auswechselbank angebracht ist, wieder verschluckt hatte. Thomas Müller schien das, was er angekündigt hatte, zu gelingen: den Abend tatsächlich zu genießen.
Es konnte nur einen geben: Thomas Müller durfte die Meisterschale am Samstag als Erster in die Höhe recken.
Dieser Abschied, diese wenigen Sekunden voller Emotion, sie hatten vermutlich ähnlich viel Kraft gekostet wie die 83 Spielminuten zuvor. Als die Spieler nach Schlusspfiff wieder aus den Katakomben gerufen wurden, um sich die Meisterschale auf der eilig errichteten Bühne abzuholen, da war er nicht nur zurück, da wurde Thomas Müller noch einmal zum blühenden Leben: Manuel Neuer, der Kapitän und Weggefährte, schnappte ihn am Ärmel und zog ihn ganz nach vorn, um Thomas Müller den allergrößten Moment dieser Saison zu überlassen. Und als sich alles verlor im Jubel, im Trubel und in der Heiterkeit, als Müller die Schale als allererster präsentiert hatte, da nutzte er dann diesen Moment, um mit ihr hineinzuklettern ins Herz der Südkurve.
Dort spätestens, dort überspülten die Emotionen nun selbst die Treuesten der Treuen. Wenn man in die Gesichter sah, da konnte man zitternde Unterlippen erkennen, feuchte Augen, rote Wangen. Menschen, die sich gegenseitig festhalten mussten, weil das zu gewaltig, zu groß war, was sich vor ihnen Augen abspielte. Aber es gab auch die, die es einfach so machten wie Thomas Müller; die gar nicht traurig waren, sondern die strahlten über das ganze Gesicht - voll Dankbarkeit, voll Glück, diese Jahre, diese Momente, all diese Augenblicke und auch diesen Abschied hautnah miterleben zu dürfen.
Thomas Müller sprach nun ins Mikrofon zu allen 75.000, die gekommen waren, berichtete vom „unbezahlbaren Gefühl“, für sie alle ein Tor zu schießen, von all den Begegnungen mit den vielen Menschen, die er genossen hat. Aber Müller blickte auch in die Zukunft: „Ich sehe ganz viele junge, hungrige Spieler, die auch ihr Herz geben für den FC Bayern. Wir sind gut aufgestellt!“ Er habe es immer geliebt, der „moderne Gladiator“ zu sein: „Ich bin aber nicht traurig, ich freue mich auf das, was kommt. Auch wenn das nicht halb so schön sein kann wie das, was ich hatte.“ Tränen wollte Müller, der selbst tatsächlich keine sichtbar vergoss, keine sehen, meinte er: „Wenn, dann nur positive!“, rief er. Und schloss um Punkt 20.57 Uhr mit einer Liebeserklärung, so wie er sie zuvor immer wieder bekommen hatte von seiner Südkurve und von all den Menschen, für deren Zuneigung er sich herzlich bedankte: „Ich liebe euch alle“, schloss Thomas Müller: „Machts gut, servus!“
Dann endete dieser Abend tatsächlich nicht in Tränen und Traurigkeit, dafür sorgten die Bilder der Weißbierduschen, der Spielerkinder wie von Harry Kane, wie sie unter dem Jubel der Südkurve den Ball ins Tor schossen. Sie alle strahlten dort unten, tanzten und jubelten. Und mittendrin, als würde er niemals weg sein, war Thomas Müller.
Die Stimmen zur Partie: