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Selina Eckstein·22. November 2022
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Selina Eckstein·22. November 2022
Alle wissen es besser. Du bist zwar der Einzige, der dafür bezahlt wird, aber neben dir wissen noch 82 Millionen weitere Bundestrainer ganz genau, was zu tun ist. Und trotzdem stehst du mit der Entscheidung am Ende ganz allein da. Und womöglich auch ziemlich blöd.
Es war keine einfache Position, in der Joachim Löw sich vor dem Viertelfinale der Weltmeisterschaft 2014 befand. „Wohin mit Philipp Lahm?“ fragte sich ganz Fußballdeutschland nach dem Algerien-Spiel und auch intern wurde diskutiert: Sollte man weiter im Mittelfeld auf den Kapitän setzen, oder ihn doch auf seine angestammte Position auf der rechten Seite aufstellen?
Der Bundestrainer führte deshalb mehrere Gespräche mit seinen Spielern. „Das waren übrigens die einzigen Momente, bei denen ich als Spieler gemerkt habe, dass er sich ein bisschen unwohl fühlt“, erinnerte sich Miroslav Klose in einem Interview mit der ‚Süddeutschen Zeitung‘ zurück.
Dass Lahm als Sechser taugt, bewies er beim Rekordmeister. Unter Pep Guardiola war der FCB-Star ein belebendes Element in der Offensive. Sein schnelles Umschaltspiel sowie das Einleiten von Angriffen zeichneten den gelernten Abwehrspieler aus. Auch die Nationalmannschaft sollte davon profitieren. Doch der Schritt ging nach hinten los.
Der sonst so verlässliche Münchner fühlte sich im Mittelfeld scheinbar nicht mehr wohl und leistete sich teils haarsträubende Fehlpässe. Für viele Experte war sein Schritt zurück in die Abwehrreihe bis heute entscheidend für den WM-Titel. In einem Gespräch mit der ‚Welt‘ wollte der ehemalige Kapitän seinen Positionswechsel anschließend nicht zu hoch hängen, gab aber auch mit Blick auf das Finale zu: „Wir haben überlegt, wer im Mittelfeld spielen soll. Ich hätte sagen können, dass ich dort spielen will. Habe ich aber nicht.“
Am Ende reckte Lahm den WM-Pokal in den brasilianischen Nachthimmel und trat danach ab. Bis heute stellt sich die Frage, wer in die Fußstapfen des Weltmeisters treten könnte. In diesem Zusammenhang fällt auch immer wieder der Name Joshua Kimmich. Beide sind absolute Leistungsträger und Leader auf dem Platz – nicht nur bei den Bayern, auch in der Nationalmannschaft.
Zudem haben sich beide auf dem Platz schon auf den gleichen Position wiedergefunden: also sowohl auf der „Sechs“ als auch auf der rechten Abwehrseite. Ähnlich wie Lahm vor der WM 2014 bei den Bayern im Mittelfeld gesetzt war, ist das nun auch bei Kimmich der Fall.
Dabei interpretiert der 27-Jährige diese Position offensiv, wodurch er im September viel Kritik einstecken musste. Auch von Lahm selbst: „Er muss ein bisschen an der Denkweise arbeiten, einen Tick defensiver denken.“ Außerdem sagte der ehemalige Bayern-Star gegenüber ‚Bild TV‘: „Am Defensivzweikampf kann man noch ein bisschen arbeiten. Die Frage ist dann, ob man die Offensivstärke rausnimmt.“
Rückendeckung gab es im Anschluss von Hasan Salihamidžić. „Er ist einer der Top-Mittelfeldspieler in der Welt. Es ist beeindruckend, wie er unser Spiel ordnet, dirigiert. Die Kapitänsbinde gibt ihm noch mal mehr Selbstvertrauen. Wir sind stolz, dass er bei uns im Team ist: Weil er nicht nur ein Top-Spieler, sondern auch eine Persönlichkeit ist“, sagte der FCB-Vorstand gegenüber der ‚Sport Bild‘.
Im Mittelfeld fühlt sich Kimmich zumindest deutlich wohler als in der Abwehrreihe. Dort hatte er beim FCB und beim DFB über viele Jahre zähneknirschend agiert. Seit dem Rücktritt von Toni Kroos findet er sich nun auf der Sechser-Position wieder. Er ist somit ein bisschen der falsche Lahm, der jahrelang sehr gerne auf den Außen verteidigte und dort auch ein kleines bisschen besser war als in der Mittelfeldzentrale.
Doch nun könnte sich für Hansi Flick bei der WM in Katar die Frage stellen, wen er im defensiven Mittelfeld aufstellt. Schließlich stehen mit Leon Goretzka und Ilkay Gündogan noch zwei weitere Sechser zur Verfügung. Ein Experiment mit Kimmich auf der rechten Abwehrseite ist nicht vollkommen ausgeschlossen. Vor allem, wenn sich während des Turniers wieder zeigen sollte, das dort eine Schwachstelle klafft.
Ihm könnte somit ein ähnliches Schicksal wie Lahm bei der WM 2014 ereilen. Ob das dann die richtige Entscheidung ist oder ob Flick während des Turniers doch noch mal umstellt, werden die kommenden Wochen zeigen. Und ob diese Entscheidung dann zum Erfolg, also zum WM-Titel, führt, sowieso.