Nur die Raute
·3. Mai 2025
Der nächste Horror-Frühling? Warum der HSV im April enttäuschte!

Nur die Raute
·3. Mai 2025
Nach einem überragenden März rutschte der HSV zuletzt in eine Ergebniskrise. Die starken Leistungen der Vorwochen bekam der Nord-Klub zu selten auf den Platz.
Ein Sieg, ein Unentschieden, zwei Niederlagen – die Punkteausbeute des Hamburger SV im Monat April ist mehr als ausbaufähig. Was inhaltlich auf dem Platz passierte: Jetzt hier in der Taktik-Review.
Der HSV profitiert beim Gastauftritt in Nürnberg von einer frühen Führung, bei der man die „Glubberer“ nach einer Ecke auf dem falschen Fuß erwischte und über Emir Sahiti, William Mikelbrencis, Ransford Königsdörffer und schließlich Jean-Luc Dompé innerhalb weniger Sekunden zum Führungstreffer kam. Noch besser wurde die Ausgangslage durch die rote Karte für Janis Antiste in der 16. Minute.
Danach agierte man meist im Dreieraufbau über Miro Muheim, der situativ ins Mittelfeld schob, Daniel Elfadli als zentralen Innenverteidiger und Sebastian Schonlau, der für den verletzten Dennis Hadzikadunic in die Startelf rückte. Mikelbrencis schob breit und teils sehr hoch auf den Flügel, was Emir Sahiti ermöglichte, seine Stärken in den Halbräumen auszuspielen.
Lukasz Poreba ersetzte den angeschlagenen Jonas Meffert auf der Sechs und überzeugte mit hoher Souveränität – mit und gegen den Ball. Der weitere Spielverlauf diente als Paradebeispiel für die Spielidee Polzins: viele zentrale Rotationen, um den Gegner vor ständige Entscheidungen zu stellen. Hier zeigte sich auch die Stärke Königsdörffers als Mittelstürmer. Anders als Glatzel und Selke bietet er Gefahr für den Tiefenlauf, kann aber auch als Anspielstation in den Halbräumen dienen. So war die Nürnberger Abwehr ständig gefordert, seine Bewegungen zu verteidigen – was wiederum Räume für nachrückende Mittelfeldspieler öffnete.
Zudem: Dompé-Festspiele – zwei Tore, ein Assist, sieben eigene Abschlüsse, sechs kreierte Chancen, darunter zwei Großchancen. Anschließend folgten großspurige Ansagen auf Social Media an Gegenspieler Tim Janisch – nach so einem Spiel konnte er sich das allerdings auch erlauben.
Im Vergleich zum Auswärtssieg in Nürnberg muss der HSV zweimal tauschen und verliert mit Miro Muheim und Ludovit Reis zwei zentrale Spieler – Muheim für das Spiel mit Ball, Reis für das Spiel gegen den Ball.
In Ballbesitz agierte man erneut vorrangig im Dreieraufbau, bestehend aus Hefti, der Muheims Position als Linksverteidiger übernahm, Sebastian Schonlau und Daniel Elfadli. Situativ blieb auch Mikelbrencis tiefer, woraus sich phasenweise eine flache Viererkette ergab.
Häufig war der HSV in einem 3-1-5-1 mit wenig Staffelung zu sehen. Die Fünferreihe aus Dompé, Richter, Karabec, Sahiti und Mikelbrencis brachte zwar viele Spieler in die gegnerische Hälfte, war bei ungenügender Aufteilung aber relativ einfach zu verteidigen. So hatte den die Rothosen Probleme, das 5-3-2 der Braunschweiger in Bewegung zu bringen. Kommen dann noch individuelle Fehler hinzu, wird es nahezu unmöglich, solche Spiele zu gewinnen.
Defensiv war man bei Umschaltaktionen oft nicht gut auf Halbraumbesetzungen vorbereitet. Die Zonen neben Sechser Lukasz Poreba blieben zu häufig unbesetzt. Das Gegenpressing funktionierte zwar teilweise, aber wenn es nicht griff, wuchs der Druck auf die Abwehrreihe – auch wegen der sehr dynamischen Angriffsreihe der Braunschweiger, allen voran Top-Torjäger Rayan Philippe.
Dass Braunschweig mit sechs Schüssen und nur 1,33 xG vier Tore erzielte, rundete das Spiel ab. Auch wenn man sagen muss: Mit 15 Schüssen aus dem Spiel war der BTSV dem HSV (nur 7) deutlich überlegen und gewann verdient.
(Foto: Getty Images)
Erneut spielt der HSV früh in Überzahl – dieses Mal durch eine rote Karte für Schalkes Kapitän Kenan Karaman. Der eigentliche Matchplan von Trainer Merlin Polzin war dadurch zwar nicht komplett obsolet, aber eben nicht mehr 1:1 umsetzbar.
Merlin Polzin hatte mit Ransford Königsdörffer und Immanuel Pherai zwei Spieler aufgestellt, die vor allem durch Tempo und Beweglichkeit in Tiefe und Halbräume Gefahr erzeugen sollten. Genau das gelang beim zwischenzeitlichen 1:2 – Räume hinter oder vor der letzten Kette sollten durch Bewegungen geöffnet werden.
Durch die Unterzahl agierte Schalke abwartender. Der HSV hatte mehr Ballbesitz als erwartet, jedoch ohne ballstarke Spieler wie Adam Karabec oder physisch präsente Optionen wie Davie Selke und Robert Glatzel.
Trotzdem erspielten sich der Nord-Klub regelmäßig gefährliche Situationen. Silvan Hefti übernahm eine ungewohnte Rolle: Während er sonst eher absicherte, schob er in diesem Spiel – auch begünstigt durch die Überzahl – bis in die vorderste Linie. So mussten die Schalker Entscheidungen treffen, wer Hefti aber ultimativ natürlich auch wer Jean-Luc Dompé verteidigen soll. So entstanden viele Freiräume für die Hamburger, die durchaus gut genutzt wurden und die daraus entstandenen Möglichkeiten nur durch eigene technische Fehler nicht final zu Ende gespielt wurden.
Spätestens nach den Einwechslungen von Karabec und Glatzel zur Halbzeit übernahm man die Spielkontrolle vollends. Der HSV bekam die Schalker immer wieder ins vertikale Verschieben, um dann schnell zu verlagern, hatte häufige Überzahl in Ballnähe und muss sich in diesem Spiel über zwei verschenkte Punkte ärgern, einfach weil die eigene Dominanz letztendlich nicht konsequent genug ausgespielt wurde.
Im letzten Ligaspiel des Monats veränderte der HSV seinen Aufbau im Vergleich zu den Vorwochen: Statt dem üblichen 3-1-/3-2-Aufbau agierte man gegen den KSC eher in einem 4-2 mit Ludovit Reis neben Jonas Meffert im Zentrum.
Hatte man beispielsweise unter Tim Walter noch den Ansatz, im eigenen Spielaufbau möglichst viele Spieler in die gegnerische Hälfte zu schieben, so wirkte der Ansatz gegen den KSC konservativer – was dazu führte, dass oft die Tiefe im eigenen Spiel fehlte. Die Anspielstationen in der Offensive blieben aus.
Während gegen Schalke noch Dynamik im Fokus stand, war es gegen Karlsruhe zunächst das kontrollierte Auftreten, das aber für ein behäbiges Spiel sorgte. Deutlich weniger Rotationen als unter Polzin gewohnt, wenig Tiefgang in den Bewegungen, viel statisches Erwarten von Bällen, was schlussendlich leicht zu verteidigen ist.
Defensiv stand man grundsätzlich stabil, auch wenn das eigene Anlaufverhalten nicht häufig genug griff und das Spiel mit dem Ball den Karlsruhern oft zu einfach gemacht wurde. Individuelle Schwächen, etwa bei Rechtsverteidiger William Mikelbrencis, offenbarten sich erneut – vor allem in der räumlichen Orientierung und Entscheidungstreffung.
Dem Trainerteam um Merlin Polzin kann man nicht vorwerfen, stur an einem System festzuhalten. Immer wieder wird gegnerabhängig reagiert, Matchpläne werden angepasst und gezielt bestimmte Räume bespielt.
Was im April fehlte, war eine geschlossenere Defensivleistung. Das Pressing war häufig zu leicht zu überspielen. In Kombination mit individuellen Fehlern reichten auch gute Pläne nicht mehr aus.
Mit Ball zeigte sich der HSV variabel und bereit zu Anpassungen. Zuletzt fehlten jedoch Genauigkeit, Mut zur Tiefe und Dynamik – das Spiel wurde zu statisch. Gelingt es, diese offensive Gefahr wieder zu erzeugen, kann man auch die zuletzt anfällige Defensive besser kaschieren – und im besten Fall: vergessen machen.
Jan Schultz (Taktik-Experte und Autor beim Rautenball-Blog)