fussball.news
·27. Dezember 2023
fussball.news
·27. Dezember 2023
Das Fußballjahr 2023 neigt sich dem Ende entgegen. Zwar wird in England und Italien noch immer gespielt und keine echte Winterpause abgehalten, dennoch scheint die Zeit für ein Fazit angebracht. In Bezug auf den Trainerberuf dominierten dabei auch in den letzten zwölf Monaten die 'üblichen Verdächtigen'.
Pep Guardiola hat sich mit dem Triple-Sieg mit Manchester City ein weiteres Denkmal errichtet, zu den absoluten Top-Coaches werden weiterhin auch Namen wie Carlo Ancelotti (Real Madrid) Jürgen Klopp (FC Liverpool) oder Diego Simeone (Atletico Madrid) gezählt. Neu in diese Riege aufgestiegen sind beispielsweise Mikel Arteta vom FC Arsenal, Simone Inzaghi von Inter Mailand oder Xavi Hernandez vom FC Barcelona. Hervorragende Arbeit leisten aber auch zahlreiche andere Übungsleiter, die im Schatten ihrer prominenten Amtskollegen stehen. fussball.news würdigt deshalb fünf Trainer, die für ihre Leistungen im Jahr 2023, mehr Aufmerksamkeit verdienen -- je einen pro Top-5-Liga in Europa.
Frank Schmidt ist nicht nur der dienstälteste Trainer eines Klubs aus den europäischen Top-Ligen, es gibt wohl auch keinen zweiten, der die Geschicke seines Vereins dermaßen stark geprägt hat. Als der heute 49-Jährige 2007 seine ersten Spiele in der Oberliga Baden-Württemberg betreut hat, deutete nichts darauf hin, dass der 1.FC Heidenheim eines Tages als Neuling in der Bundesliga dabei sein würde.
Im Jahr 2023 hat Schmidt dieses Fußballwunder bewerkstelligt: Die Brenzstädter wurden dank einer tollen Rückrunde und einem dramatischen Saisonfinale Zweitligameister. Im Oberhaus angekommen, hat Heidenheim keine größeren Anpassungsprobleme gezeigt. Das Team hat unter anderem in Dortmund gepunktet, den VfB Stuttgart bezwungen und dank drei Siegen zum Ausklang das Überwintern in der oberen Tabellenhälfte gesichert.
All dies gelingt Heidenheim dank einer sehr klaren Spielidee von Schmidt, der die individuellen Limitationen seines Kaders auszubalancieren weiß. Heidenheim ist für jeden Gegner unbequem zu spielen, sehr robust und die wohl beste Mannschaft in Deutschland, was Standardsituationen anbelangt. All das spricht dafür, dass Schmidt mit seinem Trainerteam herausragende Arbeit leistet.
Die Trainerkarriere von Emery verlief bisweilen durchaus kurios. Obwohl der Spanier mit Stationen beim FC Sevilla, Paris Saint-Germain und dem FC Arsenal sehr prominente Klubs in seiner Vita stehen hat, hat er den Sprung in die Coaching-Elite zumindest in Anbetracht der öffentlichen Wahrnehmung nie ganz geschafft. Alleine drei Siege in der Europa League mit Sevilla sollten eigentlich für sich sprechen.
Vor allem in England galt Emery nach seinem Scheitern bei den Gunners als regelrecht verlacht. Die bisweilen zu Arroganz über die Vormachtstellung der Premier League neigende Presse begegnete Emery mit Skepsis, als er kurz vor rund 14 Monaten bei Aston Villa unterschrieben hat. Alle Unkenrufe konnte der 52-Jährige inzwischen beseitigen.
Im Kalenderjahr 2023 hat Emery mit dem Traditionsklub aus Birmingham in 41 Premier-League-Spielen 82 Punkte geholt, das ist zum Beispiel einer mehr, als Klopp mit Liverpool in gleich vielen Partien gelungen sind. Dass Aston Villa echte Hoffnungen auf die erstmalige Champions-League-Teilnahme hegen kann, stellt eine herausragende Trainerleistung dar. Denn der Kader des Klubs ist sicherlich sehr stark, aber doch keiner, der in der Premier League in besonderem Maße hervorstechen würde. Stattdessen macht Emery seine Kicker besser und formt vor allem eine Einheit. Daran ändert auch die Niederlage nach 2:0-Führung bei Manchester United am Boxing Day nichts.
Mit dem Begriff Fußball-Märchen muss man bei den Leistungen des FC Girona etwas aufpassen. Der überraschende Tabellenzweite von LaLiga gehört immerhin der City Football Group an, also dem Konglomerat, das auch den Triple-Sieger ManCity betreut. Der Verein kommt so an Spieler heran, die er sich aus eigener Kraft kaum leisten könnte. Die Arbeit von Trainer Michel schmälert dieser Umstand freilich nicht.
Girona ist erst 2022 unter dem Spanier wieder in LaLiga aufgestiegen, entwickelt sich dort in einer Rasanz, die selbst die Entwicklung von Union Berlin in der Bundesliga in den vergangenen Jahren in den Schatten stellt. Zur kurzen Winterpause in Spanien liegt Michel mit Girona nur wegen des verlorenen direkten Vergleichs hinter Real Madrid, ansonsten ist die Bilanz identisch. Mit dem Unterschied, dass Girona mehr Treffer erzielt hat als das Star-Ensemble von Ancelotti.
Das deutet an, warum die Mannschaft so etwas wie Everybody's Darling in der Taktik-Community ist: Michel lässt einen sehr gepflegten Offensivfußball spielen, der sich nicht zuletzt auf die herausragenden Außenbahnspieler stützt. Der ein oder andere Girona-Profi dürfte über kurz oder lang zum Schwesternklub ManCity verfrachtet werden. Längst ist auch denkbar, dass Michel dort eines Tages Guardiola ersetzt.
Das Überraschungspaket in Italien stellt der Traditionsklub Bologna dar. Die Rossoblu stehen nach 17 Spieltagen der Serie A auf Rang vier und dürfen sich berechtigte Hoffnungen auf die erstmalige Teilnahme an der Champions League machen. Zuletzt gelang außerdem ein vielbeachteter Sieg bei Inter Mailand in der Coppa Italia. Für Thiago Motta war das ob seiner großen Vergangenheit als Inter-Profi sicher ein besonderer Sieg.
Der ehemalige italienische Nationalspieler mit brasilianischen Wurzeln galt schon zu aktiven Zeiten als einer der Profis, denen eine große Trainer-Karriere bevorstehen könnte. Der 41-Jährige hat doch etwas Anlauf benötigt, seine ersten Stationen beim FC Genua und Spezia Calcio verliefen nicht ganz wunschgemäß. In Bologna hat der ehemalige Barca-, PSG- und Inter-Profi sein Glück gefunden.
In einer Mannschaft ohne große Stars hat Motta viele Spieler nachhaltig besser gemacht, das beste Beispiel liefert wohl Joshua Zirkzee, dessen Entwicklung in dieser Saison durch die Decke geht. Der Übungsleiter empfiehlt sich damit für größere Aufgaben. Er gilt als potenzieller Nachfolger von Inzaghi bei Inter, wobei dieser Job noch einige Jahre in der Ferne liegen dürfte. Schon im Sommer hätte er bei der SSC Neapel Meister-Trainer Luciano Spalletti ersetzen können. Bei Bologna geblieben zu sein, erweist sich inzwischen als genau richtiger Schachzug.
Mit 34 Jahren ist Farioli einer der jüngsten Trainer in Europas Top-Ligen. Auf dieser Liste stellt er auch deshalb eine Besonderheit dar, weil er nur die zweite Hälfte des Jahres 2023 bei seinem Klub verbracht hat. Die war dafür umso eindrücklicher: Nizza ist der ärgste und nach bisherigen Eindrücken einzige ernsthafte Verfolger von Abonnement-Meister PSG in der Ligue 1. Das vor allem, weil Farioli ein unheimlich schwer zu knackendes Bollwerk aufgebaut hat.
Der Klub von der Cote d'Azur steht nach 17 Spieltagen in Frankreich bei lediglich neun Gegentoren, ein Drittel davon kassierte das Team am vorletzten Spieltag des Jahres bei Le Havre AC. Dies stellte eine von nur zwei Saisonniederlagen dar. Den famosesten Sieg landete Farioli im September bei PSG mit einem 3:2. Die Begegnung zeigte, dass Nizza, anders als in der Vorsaison, nicht nur hinten sicher stehen kann, sondern auch mit offensivstarken Top-Teams in Frankreich mithalten kann.
Die Frage, wie nachhaltig der Erfolg von OGC sein kann, stellt sich durchaus schon. Die beiden besten Spieler, die französischen Internationalen Khephren Thuram und Jean-Clair Todibo, werden heftig mit Wechseln in die Premier League in Verbindung gebracht. Und auch Farioli wird womöglich nicht allzu lange in der Ligue 1 bleiben. Spannend ist dabei: Nizza gehört zur INEOS-Gruppe des Milliardärs Jim Ratcliffe, der gerade als Anteilseigner bei Manchester United eingestiegen ist. Könnte Farioli so in nicht allzu ferner Zukunft beim englischen Rekordmeister ein Thema werden?