Ein Spiel zum Einrahmen: Stimmungsbericht zum Nordderby der Frauen | OneFootball

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·24. März 2025

Ein Spiel zum Einrahmen: Stimmungsbericht zum Nordderby der Frauen

Artikelbild:Ein Spiel zum Einrahmen: Stimmungsbericht zum Nordderby der Frauen

Neunzigste Minute, die Schiedsrichterin zeigt auf den Rasen, und für einen Moment spüren alle 57.000 Zuschauerinnen und Zuschauer, ob auf Hamburger oder Bremer Seite, diese stille Erwartungshaltung. Sie werden doch nicht etwa? Ausgleichen per Freistoß, direkt vor der rappelvollen Nordkurve, ein Meer aus Blau, in die Maschen und ins Glück, gegen den Rivalen, nein, das wäre doch zu kitschig. Sie werden doch nicht etwa?

Doch, der HSV gleicht tatsächlich noch aus, Kopfball der Kapitänin, natürlich. Ekstase auf den Rängen, zumindest den blau gefärbten, Schock auf den grünen. "Ich habe noch nie so etwas Lautes in meinem Leben gehört. Das war ein schöner Moment, den werde ich mir einrahmen“, sagte HSV-Trainer Marwin Bolz danach, und damit war er wohl nicht der Einzige.


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Selbst Werder-Fans müssen nach diesem historischen Nordderby, dem meistbesuchten Frauenfußball-Spiel auf Klubebene, zugeben, dass es eine ganz besondere Dramaturgie war, dass dieser Moment schon etwas Besonderes hatte, kollektive Gänsehaut. In der 90. Minute fiel es den Werder-Fans wohl noch schwer, das anzuerkennen, aber nach dem Abpfiff, 3:1 für ihr Team nach Verlängerung, schon deutlich leichter. Ein dramatisches 3:1, das der Kulisse sehr viel gerechter wurde, als es nur ein schnödes 1:0 für Bremen gewesen wäre.

Der Pokalfight hatte alles, was einen guten Vertreter seiner Gattung ausmacht - Gelb-Rote Karte (für Bremen), Verlängerung, Last-Minute-Ausgleich, vergebene Chancen und Nickligkeiten. Leider auch einige Fehlentscheidungen, aber da diese meist zuungunsten der siegreichen Bremerinnen gingen, dürften sie im großen Rausch der Dinge verloren gehen.

Das Nordderby war wegen des neuen Rekords einzigartig, aber mehr als die nackten Zahlen zählte das Gefühl, das sich schon wochenlang aufgebaut hatte, dass hier etwas Besonderes passiert. Dem Spiel gelang ein Spagat, über den im Frauenfußball viel diskutiert wird.

Ja, es ist möglich: Große Menschenmassen, Choreos und 'Scheiß-HSV'-Rufe auf einer Seite - also die typischen Charakteristika des Männerfußballs. Und auf der anderen Seite Familien, keine unangenehme Stimmung, kaum dämliche Kommentare - also genau das, was gerne bewahrt werden soll. Emotionen, die überschwappen und doch keine Grenzen überschreiten, das ist im großen Stil möglich. Party und Sonntagsausflug, Stimmung und Respekt, das ist gleichzeitig möglich.

Beim Nordderby kamen aus dem ganzen Norden verschiedenste Menschen zusammen. Da waren die typischen Männerfußball-Fans, typischerweise eher jung, männlich, biertrinkend, und sie standen in trauter Eintracht neben anderen Gruppen. Da standen Wollmäntel und Blusen neben Lederjacken, Rollkragenpullis neben Peppa-Pig-Shirts, Flaum neben grauem Haar, Kutte neben Rock.

Fußball hat ja gerne den Anspruch, die Gesellschaft ein wenig zu vereinen. Dem wird er selten gerecht und wohl auch an diesem Sonntagnachmittag nicht komplett, und doch fühlte es sich bei aller Rivalität und allen Sticheleien einfach an wie ein toller Sportnachmittag, den alle genießen konnten. Und ja, kitschig ist auch das, aber besonders die vielen kleinen Kinder machten emotional.

Vielleicht wird eines Tages, wenn eine kommende HSV-Spielerin ihren ersten Vertrag unterzeichnet, ein Foto von ihrem sechsjährigen Ich im Volksparkstadion an diesem Tag gepostet. Vielleicht erinnert sich ein Werder-Fan irgendwann an eins seiner ersten Fußballspiele, an sein Gefühl beim Führungstreffer durch Sophie Weidauer, und wie es für diese 57.000 Fans komplett egal war, ob jetzt Frau oder Mann.

Dem tapfer kämpfenden HSV gebührt der Respekt dafür, dass die zum Derby passende Spannung aufkam, dass der Klassenunterschied erst in der Verlängerung ein wenig spürbar wurde. Statt einer einseitigen Geschichte war es ein Fight, bei dem die Hamburgerinnen auch nach 115 Minuten jeden Fuß, jedes Bein, auch mal den Oberkörper hereinwarfen, um Bremen doch noch zu stoppen.

Die feiernden Bremerinnen nach dem Führungstreffer vor der Kurve, das ist dann der Moment, den sich wohl Werder-Trainer Thomas Horsch einrahmen will. Die Magie dieser Momente, die Stimmung, sie kamen ganz natürlich auf und ohne Feindseligkeit, ohne Moderatoren-Sprüche mit Cringe-Potenzial oder La-Ola-Welle. Für ein paar wenige Stunden war alles intensiv, alles laut. Das Nordderby wird in die Geschichte eingehen, aber ist hoffentlich nur eins von vielen Fußballspielen dieser Art.

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