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·27. Dezember 2024

Einmal Abgrund und zurück

Artikelbild:Einmal Abgrund und zurück

Es ist der Abend des 25. Mai 2024 gegen 18:00 Uhr. In etwa zwei Stunden soll der Anpfiff des DFB-Pokalfinales erklingen. Unter normalen Umständen wäre das für mich keine große Sache, zumal meine beste Freundin einen Tag zuvor geheiratet hat und ich an diesem Abend in entsprechender körperlicher Verfassung bin. Doch die Umstände sind nicht normal. Der Gegner der Mannschaft der Saison aus Leverkusen ist schließlich unser FCK. Der hat es tatsächlich ins Finale geschafft. Zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren. Damals - 2003 - hatte ich als Zehnjähriger gerade mein Herz an die Männer in Rot verloren. Unwiderruflich. Für immer.

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Und auch wenn die Favoritenrolle im Vorfeld längst klar verteilt schien: Allein die Tatsache, dass die theoretische Möglichkeit bestand, innerhalb von 90 Minuten einen nationalen Titel zu erringen, verursachte bei mir Gänsehaut am ganzen Körper. Ehrlicherweise hätte ich nicht damit gerechnet, so etwas als FCK-Fan nochmal erleben zu dürfen. Zu tief waren wir alle gemeinsam gefallen, zu tief hatten wir dem Abgrund und dem Teufel höchstpersönlich in die Augen geblickt. Drei Jahre nach der Insolvenz und dem Beinahe-Absturz in die Regionalliga nun also das DFB-Pokalfinale. Mehr positive Emotion geht eigentlich nicht. Wenige Wochen zuvor sah die pfälzer Gefühlswelt noch ganz anders aus.

Ein Meer voller Emotionen: Der FCK zwischen Weltuntergang und Pokaltraum

Fast auf den Tag genau vier Wochen zuvor, am 19. April 2024: Die Roten Teufel haben gerade zuhause vor über 40.000 Fans einen Heimsieg gegen den Kellernachbarn Wehen Wiesbaden verpasst. 1:1 - zu wenig, um an den Hessen vorbeizuziehen. Zu wenig, um die Abstiegsränge zu verlassen. Stattdessen haben die Männer in Rot vier Spiele vor Saisonende weiterhin zwei Punkte Rückstand auf das rettende Ufer und eine Woche später geht es zum Spitzenreiter nach Kiel. Entsprechend niedergeschlagen ist die Stimmung in Block 9.2 der Westkurve. Für mich geht es an diesem Nachmittag noch zum Fanclubtreffen. Doch der Frust ist groß. Eigentlich weiß jeder von uns: Der FCK hat schon härtere Schlachten erfolgreich geschlagen. Doch uns ist der Glaube abhandengekommen. Das bemängelte nach dem Spiel auch der dritte Trainer in dieser turbulenten Saison, Friedhelm Funkel: „Es ist im Moment eine Weltuntergangsstimmung, wenn ich in die Gesichter der Leute schaue. Aber wir sind heute nicht abgestiegen“.

Doch genau so fühlt es sich im Moment an. Das Horrorszenario Dritte Liga ist wieder präsent, die Angst um unseren Verein lähmt. Das spürt man in den kommenden Tagen mit jeder Faser, wenn man durch die Barbarossastadt geht. Da ist sie wieder, diese Verbundenheit, die es in Deutschland vielleicht nur noch im Ruhrpott gibt. Der Schmerz, der sich auf den eigenen Körper überträgt, wenn es dem Herzensklub schlecht geht. Und die Angst vor dem Morgen. Geht die Höllenfahrt der Unzerstörbar von vorne los? Überlebt sie einen weiteren Schiffsbruch überhaupt? Fragen über Fragen, die das Gemüt zerfressen.

Der Moment, als der FCK dem Teufel in Kiel von der Schippe springt

Beim Auswärtsspiel in Kiel eine Woche später ziehe ich alle Register. Wie so oft, wenn beim FCK viel auf dem Spiel steht, werde ich hochgradig abergläubig. Da die vergangenen Wochen alles andere als erfolgreich waren, beschließe ich, mir das Spiel nicht anzuschauen. Ich nehme mir vor, einen ausgedehnten Spaziergang zu machen und später in Ruhe einkaufen zu gehen. Nur nichts mitbekommen. Die Gedanken, die mich die ganze Woche über so belastet haben, weit von mir fernhalten. So hat es einst Fritz Walter getan, wenn sein Herz, das neben seiner Frau Italia ganz den Roten Teufeln gehörte, zu arg von der Lautrer Gefühlsachterbahn gebeutelt wurde. Doch ich merke schnell, dass ich nicht abschalten kann. Schon kurz nach dem Anpfiff schaue ich wieder und wieder auf den Liveticker. Nach 13 Minuten schreie ich zum ersten Mal auf: Daniel Hanslik hat uns beim Tabellenführer in Führung gebracht. Plötzlich scheint das rettende Ufer wieder ganz nah zu sein.

Ich werfe meine guten Vorsätze über Bord und schalte den Fernseher ein. Doch der läuft keine fünf Minuten, da kassieren wir den Ausgleich. Wie so oft in dieser vermaledeiten Spielzeit. Also entscheide ich mich wieder für meinen ursprünglichen Plan: Fernseher aus. Liveticker an. Ich registriere, dass der FCK noch in der ersten Halbzeit erneut in Führung geht. Natürlich freue ich mich, aber ich weiß auch, dass noch eine quälend lange Halbzeit vor uns liegt. Je länger das Spiel dauert, desto öfter aktualisiere ich den Liveticker. Es passiert nichts. Ich laufe auf und ab, meine Gedanken ausschließlich in Kiel. Dabei müsste ich eigentlich dringend einkaufen gehen. Also fahre ich los. Die Straßen und Geschäfte sind relativ leer, Kaiserslautern scheint geschlossen mit seinen Teufeln mitzufiebern. Es sind noch rund 10 Minuten zu spielen, als eine Reporter-Stimme aus meinem Autoradio das laufende Programm unterbricht und sagt: „In Kiel ist ein Tor gefallen“. In diesem Moment sacke ich hinter dem Lenkrad fast ein wenig zusammen. Nicht schon wieder. Auf ähnliche Art und Weise hatte ich 14 Tage zuvor den Last-Minute-Knockout bei der SpVgg Fürth erlebt, als in der fünften Minute der Nachspielzeit der 2:1-Siegtreffer für die Franken fiel. Dann fährt der Reporter fort: „Der FCK hat soeben auf 3:1 erhöht. Marlon Ritter hat getroffen.“ Mir entfährt ein lauter Schrei, ich drücke intuitiv und energisch auf die Hupe meines Autos und strecke die Faust aus dem Fenster. Der Sieg ist eingetütet, der FCK springt über den Strich und sollte auch in den verbleibenden drei Partien nicht mehr darunter rutschen. Nur eine Woche, nachdem die ganze Pfalz gefühlt im Tal der Tränen versunken war.

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Ein Tag für die Ewigkeit: Der FCK verliert in Berlin und ist trotzdem der Gewinner

Mit dem Klassenerhalt im Gepäck bereitete sich eine ganze Region auf ein Fest vor, wie sie es seit dem Bundesliga-Aufstieg 2010 nicht mehr erlebt hatte. Wir konnten in Berlin nur gewinnen. Wir hatten keine Chance, also wollten wir sie nutzen. Ich selbst blieb in Kaiserslautern, die Hochzeit meiner besten Freundin hatte Vorrang. Aber die Bilder vom Breitscheidplatz, die Eindrücke der völlig in rot-weiß-rot getauchten Hauptstadt, die vielleicht schönste Choreo, die ich bisher bewundern durfte, das alles elektrisierte auch 650 Kilometer entfernt in der Heimat. Und natürlich ertappte ich mich, je näher der Anpfiff rückte, desto mehr hoffte ich auf ein Fußballwunder. Wer, wenn nicht wir, sollte der Werkself aus Leverkusen ein Bein stellen?

Am Ende war es so knapp. So knapp, dass ich fast schon wieder haderte, ob die Sensation nicht doch möglich gewesen wäre. AAber das war schnell vergessen. Wir hatten die Saison mit einem blauen Auge überstanden, spielten auch im nächsten Jahr gegen Hamburg, Schalke oder Köln und hatten mit einer einmaligen Reise im DFB-Pokal der ganzen Republik wieder einmal gezeigt, was den FCK so einzigartig macht. Mit diesen Emotionen im Gepäck kann die neue Saison doch nur erfolgreich werden. Oder?

Eine Saison ohne Sorgen?

Nachdem FCK-Retter und Urgestein Friedhelm Funkel nicht weitermachen wollte, verpflichtete der selbst stark in die Kritik geratene Thomas Hengen seinen ehemaligen Mitspieler Markus Anfang als neuen Trainer. Eine Personalie, die in der Pfalz nicht gerade Jubelstürme auslöste, um es vorsichtig zu formulieren. Auch bei mir nicht, um ehrlich zu sein. Die einen hatten Zweifel, ob seiner letzten Stationen in Dresden, Köln oder Bremen. Die anderen lehnten ihn ab, weil er sich während der Corona-Zeit einen falschen Impfpass zugelegt hatte und deswegen an der Weser seine Koffer packen musste. Die Euphorie nach dem Pokalfinale, sie schien in Windeseile wieder verflogen. Der dramatische Unfalltod von Peter Miethe, der besten aller Seelen des FCK, versetzte den Verein zudem in eine Art Schockstarre.

Doch eines ist in Kaiserslautern sicher: Stellt sich frühzeitig der Erfolg ein, ist nichts so alt, wie die Zweifel von gestern. Anfang gelang es, ein neues, attraktiveres und offensiveres Spielsystem zu implementieren. Und vor allem erfolgreich, auch wenn es hier und da natürlich Rückschläge gab. Zwei Tage vor Weihnachten hätten die Teufel mit einem Sieg gegen Köln sogar Herbstmeister werden können, das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Und auch wenn es nicht geklappt hat, am Ende überwiegt Demut und Gelassenheit am Ende des Fußballjahres 2024. Zu turbulent war das vergangene Jahr. Spricht man mit den Leuten in der Kurve, dann spürt man, dass sie einfach froh sind, wieder stolz auf ihren FCK sein zu können. Dass sie sich freuen auf das, was im neuen Jahr kommen mag. Und das wiederum lässt mich mit einem Lächeln diese Zeilen schreiben. Denn wie oft lagen in den vergangenen Jahren vor allem Sorgen unter dem Weihnachtsbaum. Sorgen, ob und in welcher Form der FCK am Ende des kommenden Jahres noch würde existieren können.

Lautern ist nicht alles – aber alles ist nichts ohne Lautern

Diese emotionale Achterbahnfahrt, sie ist in Kaiserslautern nichts Ungewöhnliches - im Gegenteil, sie ist eher die Regel als die Ausnahme. Und sie ist Fluch und Segen zugleich. Auf der einen Seite elektrisiert sie eine Region in einem Maße, das man nur verstehen kann, wenn man entweder von hier kommt oder dem Fußball zugetan ist. Auf der anderen Seite dringt die Emotionalität so tief ins Privatleben ein, dass es wahrhaftig körperlich wehtun kann. In diesem Jahr empfinde ich diese emotionale Achterbahnfahrt als besonders hügelig, besonders intensiv. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbst kein einfaches Jahr hinter mir habe. Wen man persönliche Verluste verarbeiten muss, wird der Fußball eben zeitweise doch klein und unbedeutend. Und gleichzeitig wird sie mir eben wieder bewusst, die Kongruenz zwischen Wohl und Wehe des Lieblingsvereins und dem eigenen Wohlbefinden.

Dieses Phänomen wird uns auch im neuen Jahr begleiten. Ich weiß jetzt schon, dass ich es gleichermaßen lieben und verfluchen werde. Genauso wie meinen Verein. Doch am Ende gehe ich mit ihm durch alles, was da kommen mag. Und ich bin froh, dass es ihn gibt. Vielleicht in dieser Zeit mehr denn je. Bis der Tod uns trennt, bis die Welt untergeht, für immer FCK.

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