90PLUS
·17. Januar 2024
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·17. Januar 2024
Am vergangenen Wochenende kam es in der englischen dritten Liga zwischen dem FC Reading und Port Vale zu einem Platzsturm der Heimfans. Im Folgenden wollen wir die Hintergründe und Entwicklungen erläutern, die zu dieser Aktion geführt haben. Im Fokus: Ein Machthaber aus Fernost.
Auch wenn er in Deutschland nicht allzu bekannt ist, gehört der FC Reading zu den traditionsreichsten Klubs in England. 1871 gegründet, ist man bis heute der siebtälteste Fußballverein des Landes. Zu großen Titeln reichte es zwar nie, dennoch ist Reading in all der Zeit ein wichtiges Mitglied der englischen Fußballfamilie geblieben.
So spielte der Verein in den letzten 20 Jahren nie unterhalb der Championship und auch immerhin drei Jahre in der Premier League. Besonders die Saison 2006/07 ist dabei hervorzuheben, als man einen hervorragenden achten Tabellenplatz in Englands höchster Spielklasse erreichen konnte und die Teilnahme am UEFA-Cup nur um einen Punkt verpasste.
Auf dem Weg zurück in die Premier League waren die Royals, wie der Spitzname des Vereins ist, auch im Jahr 2017 wieder. Nachdem man unter Trainer Jaap Stam (51) die Hauptrunde auf Platz 3 beendet hatte, schlug Reading im Playoff-Halbfinale Fulham und traf im Finale auf den krassen Außenseiter Huddersfield. Der Aufstieg schien nur noch Formsache zu sein.
Eine Woche vor dem Finale wurde vermeintlich eine weitere gute Neuigkeit publik gemacht: Yongge Dai (55), ein chinesischer Geschäftsmann mit einem geschätzten Vermögen von knapp einer Milliarde Dollar, würde den Verein kaufen. Die Fans erhofften sich goldene Zeiten, schließlich kündigte Dai große Investitionen nach dem Aufstieg an.
Doch Dai war keineswegs ein solcher Besitzer, wie ihn sich die Fans gerne ausgemalt hätten. Der Chinese hatte vor den Royals bereits zwei Vereine unter seiner Obhut, den KSV Roeselare aus Belgien und SX Chanba aus China. Beide Vereine existieren inzwischen nicht mehr, woran Dai nicht ganz unschuldig ist. Eine Übernahme Hull Citys scheiterte 2015 aufgrund von Bedenken der EFL. Bei der Übernahme Readings hatte der Verband seine Bedenken offenbar vergessen.
Und so kam es anders als erhofft. Reading scheiterte im Playoff-Finale im Elfmeterschießen an Huddersfield (nachdem man 120 Minuten die klar überlegene Mannschaft war) und blieb in der Championship. Dai investierte in den folgenden Jahren zwar knapp 200 Millionen Euro, zeigte dabei allerdings keinerlei Fachverstand, installierte die falschen Leute, und so verpufften seine Investitionen ohne irgendeinen sportlichen Mehrwert.
Und so kam es, wie es kommen musste: Die EFL untersuchte die finanziellen Aktivitäten des Vereins und stellte fest, dass diese gegen das Financial Fairplay des englischen Unterhauses verstießen. Nach diesem darf ein Verein nämlich nur ein jährliches Minus von maximal 13 Millionen Pfund machen. Reading hingegen stand nach fünf Jahren mit 146 Millionen Pfund in den roten Zahlen.
Und Dai? Der machte genau das, wovor deutsche Fußballfans immer warnen, wenn es um das Thema Investoren geht: Da Reading neben einem Punktabzug auch mit einer Transfersperre belegt wurde, verlor der Chinese sämtliches Interesse an den Royals. Fristen wurden nicht mehr eingehalten, Geld wurde auf umständlichste Weise aus China nach England transferiert, statt sich ein Konto bei einer englischen Bank anzulegen und schnellen Zugriff zu haben.
Dieses unprofessionelle Verhalten von Dai sorgte für weitere Probleme bei den Royals. Die Transfersperren und Punktabzüge, die man in der ersten Saison durch starke Leihspieler wie Abdul Rahman Baba (27) oder Danny Drinkwater (32) und ablösefreie Transfers wie Alen Halilovic (26) noch ausgleichen konnte und so den Klassenerhalt schaffte, führten 2022/23 zum endgültigen Absturz. Ohne die sechs Punkte Abzug hätten die Royals die Klasse gehalten, so ging es in die dritte Liga.
Und auch hier wurde es nicht besser. Sämtliche tauglichen Spieler verließen den Verein, die meisten ablösefrei. Dazu kamen Spieler aus unteren Ligen sowie Talente. Mit dabei waren durchaus vielversprechende junge Spieler aus dem eigenen Nachwuchs, der zu den besten des Landes gehört, sowie auch von außerhalb. Da das Theater rund um den Verein die extrem junge Mannschaft jedoch sehr verunsichert, steht Reading – auch aufgrund weiterer vier Punkte Abzug – erneut auf einem Abstiegsplatz.
Doch das Sportliche ist aktuell noch nicht einmal das Schlimmste. Dai hat das Grundstück, auf dem sich das Stadion und die Geschäftsstelle befindet, auf eine eigens dafür gegründete Firma, die ihm gehört, selbst übertragen. Diese Gemengelage sorgt dafür, dass es für den Besitzer finanziell von Vorteil wäre, wenn der Verein die Insolvenz anmelden müsste und er von den Schulden des Klubs befreit werden würde. Denn: Das Grundstück dürfte er behalten.
Und genau darauf arbeitet der Besitzer nun hin. In den letzten Wochen wurde immer deutlicher, dass Dai die Liquidierung des Vereins will. Er zahlt Gehälter nicht mehr, entlässt immer mehr Mitarbeiter und verweigert notwendige Investitionen. Inzwischen ist es soweit, dass die Spieler vor Auswärtsspielen nicht einmal mehr ein Hotelzimmer gestellt bekommen, zu Essen gibt es aus der Mikrowelle. Und das alles ohne Absprache mit Trainer oder Sportdirektor. Sollte es zur Liquidierung kommen, wird es den siebtältesten Verein Englands bald nicht mehr geben. Und so sahen die Fans nach einer Vielzahl an Aktionen inklusive der Initiative „Sell Before We Dai“ keine andere Möglichkeit mehr als den Platzsturm am vergangenen Wochenende.
Und diese Aktion scheint tatsächlich etwas gebracht zu haben. Durch die landesweite Aufmerksamkeit erscheint ein zeitnaher Verkauf des Vereins nun durchaus realistisch – auch, weil sich Fans anderer Vereine extrem mit den Fans der Royals solidarisiert haben. Zudem soll es zukünftig – genau wie in der Premier League – in der EFL deutlich strengere Überprüfungen geben, wenn ein Investor einen Verein übernehmen will. Doch für die Intitiative „Sell Before We Dai“ heißt es nun erst einmal, sich für den Platzsturm zu verantworten. Wer die Fans bei ihrem Kampf unterstützen will, kann dies hier tun.
(Photo by Catherine Ivill/Getty Images)
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