
LIGABlatt
·19. Mai 2025
Fenerbahçe in der Sackgasse: Zwischen Titelhunger, Mourinho-Frust und der Suche nach dem verlorenen Glanz – Kommentar

LIGABlatt
·19. Mai 2025
Fenerbahçe beendet die Saison 2024/25 erneut als Vizemeister – zum vierten Mal in Folge. Seit dem letzten Titelgewinn 2014 ist der 19-fache türkische Meister in einer scheinbar endlosen Warteschleife gefangen. Trotz massiver Investitionen und prominenter Verpflichtungen bleibt der erhoffte Erfolg aus. Die Fans sind frustriert, die Vereinsführung steht unter Druck, und die Frage nach dem richtigen Weg zurück an die Spitze wird immer drängender. Ein Kommentar von LIGABlatt-Redakteur Çetin M. Dahle.
Mourinho: Große Worte, kleine Erfolge
Die Verpflichtung von José Mourinho im Sommer 2024 sollte ein neues Zeitalter einläuten. Der portugiesische Startrainer versprach, die "Fenerbahçe-DNA" zu verstehen und den Klub zurück zu alter Stärke zu führen. Doch die Realität sieht anders aus: Platz zwei in der Liga, das Aus im Achtelfinale der Europa League gegen die Glasgow Rangers und ein Viertelfinal-Aus im türkischen Pokal gegen Erzrivale Galatasaray. Zudem sorgte Mourinho mit kontroversen Aussagen und einem handfesten Streit mit Galatasaray-Coach Okan Buruk für negative Schlagzeilen. Die Kritik wächst, und die Zukunft des Trainers ist ungewiss.
Ali Koç: Sieben Jahre ohne Titel
Seit 2018 steht Ali Koç an der Spitze von Fenerbahçe. Trotz hoher Investitionen – der Kaderwert stieg von 152 Millionen Euro im Jahr 2021 auf 235 Millionen Euro – blieb der große Wurf aus. Koç betont zwar weiterhin sein Vertrauen in Mourinho und kündigt weitere Verstärkungen an, doch die Geduld der Fans ist am Ende. Die Rufe nach Veränderungen werden lauter, und die kommende Generalversammlung könnte entscheidend für die Zukunft des Klubs sein.
Europäische Träume – ein ferner Erinnerung
In der Saison 2007/08 stand Fenerbahçe im Viertelfinale der Champions League und scheiterte knapp an Chelsea. Seitdem blieb der internationale Erfolg aus. In der aktuellen Saison endete die Europa-League-Reise im Achtelfinale gegen die Rangers, letzte Saison schied man im Viertelfinale der Conference League bitter gegen Olympiakos Piräus aus. Die Sehnsucht nach europäischen Glanzzeiten ist groß, doch der Weg dorthin scheint weiter denn je.
Strukturelle Mängel und ein ganzes System in der Sackgasse
Fenerbahçe ist nicht nur Opfer individueller Fehlentscheidungen – die Misere ist auch Ausdruck tiefer struktureller Defizite, die den gesamten türkischen Fußball durchziehen. Während europäische Topklubs wie Benfica Lissabon, Atalanta Bergamo, Eintracht Frankfurt oder RB Leipzig mit klaren Strategien auf Nachwuchsförderung, kompetente Vereinsführung, kluge Transfers und finanzielle Nachhaltigkeit setzen, agieren türkische Vereine – darunter auch Fenerbahçe – häufig kurzfristig, impulsiv und ohne sportlich-ökonomisches Konzept.
Deshalb, und auch weil die Schere zwischen den populärsten Klubs und dem Rest der Liga immer größer wird, entwickelt sich die Qualität des türkischen Fußballs nicht ausreichend weiter, um sich auch auf internationalem Niveau messen zu können. Auch wenn Galatasaray sich die Meisterschaft gerade zum dritten Mal in Folge sichern konnte, zeigen auch seine unzureichenden Leistungen in Europa, wo der türkische Fußball trotz großer Investitionen im internationalen Vergleich wirklich steht.
Der Hang zu spektakulären Trainerverpflichtungen und teuren Stars ohne systemische Einbindung ersetzt keine kohärente Entwicklung. Die Jugendarbeit ist vernachlässigt, Scouting-Netzwerke unzureichend, und personelle Kontinuität bleibt eine Illusion. Auch fehlt es an analytischer Aufarbeitung von Misserfolgen – stattdessen regieren Emotionen, Politik und Populismus. In dieser Gemengelage kann auch ein José Mourinho nicht zaubern.
Der Weg zurück an die Spitze
Fenerbahçe braucht mehr als neue Spieler oder einen frischen Präsidenten. Der Verein braucht eine Neuausrichtung im Geiste europäischer Fußballmoderne – datengetrieben, strategisch, nachhaltig. Ohne diesen Wandel bleibt Kadıköy trotz voller Ränge und großer Namen eine Bühne für tragische Wiederholungen. Das gilt auch für Vereine wie Galatasaray, Beşiktaş oder Trabzonspor. Der Weg zurück in die europäische Spitze beginnt mit dem Mut zur Selbstkritik – und dem Willen zur Revolution von innen.
Der Traditionsverein steht an einem Scheideweg. Die kommenden Entscheidungen werden entscheidend dafür sein, ob der Klub den Weg zurück zu alter Stärke findet oder weiterhin im Schatten der Konkurrenz bleibt. Denn genau in einer solchen Krise liegt die große Chance, neue Potenziale zu erschließen und Sachen neu, besser und nachhaltiger zu machen.