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Helge Wohltmann·31. Januar 2025

Fliegt er trotz Fan-Support? Trainer muss das BVB-Syndrom überwinden

Artikelbild:Fliegt er trotz Fan-Support? Trainer muss das BVB-Syndrom überwinden

Ein Klub, der seinen hohen Ansprüchen weit hinterherläuft, kein Ligasieg seit Jahreswechsel, zu viele Ausfälle, ein Trainer, der zu sehr an seiner Spielidee klebt und Fans, die zwar auch den Coach, vor allem aber die Vereinsführung für die Misere verantwortlich machen. Was klingt wie der BVB im Januar, ist jedoch Tottenham kurz vor Beginn des Februars.

Dort steht Ange Postecoglou mächtig unter Druck und könnte bei einer Niederlage am Sonntag gegen Brentford seinen Job verlieren. Zu schwach war die Punkteausbeute in den vergangenen Monaten. Da hilft es ihm auch nicht, dass er am gestrigen Donnerstag mit 3:0 gegen Elfsborg gewann und sich damit direkt für das Achtelfinale in der Europa League qualifizierte.


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Die Augen in Tottenham richten sich auf die Liga und hier müssen die Spurs langsam aber sicher sogar in Richtung Abstiegskampf schielen. Das liegt daran, dass die Mannschaft von Postecoglou seit dem 13. Spieltag nur noch vier Punkte holte. Der letzte Sieg gelang am 15. Dezember. Am vergangenen Wochenende wurde zuhause gar noch ein 1:0 gegen den damals Vorletzten aus Leicester verspielt und letztlich mit 1:2 verloren.

Die Heimfans waren wütend und forderten, dass ein Kopf rollen sollte. Nicht der des Trainers, sondern der vom langjährigen Klubboss Daniel Levy. "24 Jahre, 16 Trainer, eine Trophäe - Zeit für Veränderung", schrieben sie auf ein Banner, dazu gab es laute „Levy raus“-Sprechchöre.

Dem wird vorgeworfen, nicht genügend Geld auszugeben, obwohl Tottenham riesige Umsätze macht und zuletzt im weltweiten Umsatz-Ranking der Klubs von 'Deloitte' mit 615 Millionen Euro den neunten Platz belegte. Damit landeten sie beispielsweise noch vor Chelsea. Der zusammengestellte Kader sei aber nicht breit genug für die anstrengende Saison

Vielleicht dachten die Fans auch an die Worte von Ex-Coach Antonio Conte zurück, der dem Verein kurz vor seinem Rauswurf ein desaströses Zeugnis ausstellte: "Die Schuld liegt einzig und allein beim Klub. Oder etwa bei all den Trainern, die hier waren?", fragte er im März 2023, bezugnehmend auf die andauernde Erfolglosigkeit. Es würden immer die Trainer geopfert, aber nichts an der generellen Situation geändert.

Die Spieler befänden sich in einer Wohlfühlbubble, "weil sie es hier so gewohnt sind. Sie spielen hier um nichts Wichtiges. Sie wollen nicht unter Druck spielen, sie wollen nicht unter Stress spielen." Da könne Tottenham noch viele Trainer feuern, die Situation werde sich nicht ändern.

Es sind ähnliche Vorwürfe, die man regelmäßig in Dortmund hört, auch wenn dort manch Spieler die Frage nach der Mentalität nicht mehr hören konnte. Beim BVB werden ebenfalls regelmäßig die Trainer getauscht, grundsätzlich geändert hat sich allerdings nichts. Auch bei der Borussia wird inzwischen häufiger die Frage gestellt, ob die Klubführung richtig aufgestellt ist. Trainerwechsel, etwa der zu Niko Kovač, lösen längst keine neue Euphorie mehr aus oder versprechen Hoffnung auf langfristige Besserung.

Das gilt genauso in Tottenham, wo Postecoglou aufgrund seiner kumpligen Art weiterhin erstaunlich beliebt bei den Anhängern ist und Unterstützung genießt. Und doch dürfte er im Zweifel gegenüber Levy den Kürzeren ziehen. Der Klubboss ist nicht umsonst seit 24 Jahren im Amt.

Es gibt auch gute Gründe, an einer Weiterarbeit mit Postecoglou zu zweifeln. So hält der Australier weiterhin stur an seiner Idee vom Fußball fest. Er lässt seine Mannschaft weit vorrücken, gnadenlos den Ball und Gegner jagen, um dann nach Balleroberung schnell in Richtung Tor vorzustoßen. Das Problem: Hinter der Abwehr gibt es riesige Räume, in die die gegnerischen Teams vorstoßen können. Bei der enormen Qualität der Angreifer in der Premier League gleicht das oft einer Einladung.

Zumal die anspruchsvolle Spielweise auch körperlich ihren Tribut fordert. Schon in der vergangenen Saison hatte Tottenham mit vielen Ausfällen zu kämpfen. Dabei spielten sie da gar nicht international und flogen auch in den beiden nationalen Pokalwettbewerben früh raus. Insgesamt kamen sie so nur auf 41 Pflichtspiele. In dieser Spielzeit sind es bereits bis Ende Januar 36 Partien gewesen.

Das geht auf Knochen, Bänder und Muskeln. Kein Wunder also, dass die Mannschaft auf dem Zahnfleisch geht und aktuell ganze zehn Spieler verletzt sind. Am Donnerstag kam mit Radu Drăgușin ein weiterer dazu, was Postecoglou mit Galgenhumor nahm. Nachdem er einem Ball hinterhergerannt war, hielt er sich anschließend den Oberschenkel, um einen Muskelfaserriss zu simulieren.

Durch die Verletzung fehlt aber wieder mal ein Innenverteidiger, was Tottenham (und auch der BVB) in dieser Saison bereits bestens kennt. So fällt die zentrale Stammabwehr aus Cristian Romero und Micky van de Veen seit Monaten aus. Einerseits eine Erklärung für die schon 37 Gegentore, andererseits ein Vorwurf an Postecoglou, der beide im Derby gegen Chelsea einsetzte, obwohl sie noch nicht ganz fit waren, und damit in Kauf nahm, dass sie sich direkt beim Comeback wieder verletzten. Seit dem 8. Dezember haben sie nicht mehr gespielt.

Laut dem 'Telegraph' sollen diesen Winter neue Spieler geholt werden, um Postecoglou neue Möglichkeiten und Zeit zu verschaffen, da auch die Klubführung noch gerne mit ihm weitermachen würde. Das könnte jedoch zu wenig, zu spät sein, falls der Abwärtstrend weiter geht. Denn dann dürfte wieder das BVB-Syndrom greifen, dass sie bei Tottenham bestens kennen. Bevor sich grundlegend etwas ändert, wird lieber der Trainer gewechselt.


📸 Richard Pelham - 2025 Getty Images