90min
·11. Juli 2022
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·11. Juli 2022
Frankreich demolierte Italien in ihrem ersten EM-Spiel und machte dabei bereits in der ersten Hälfte mit fünf Toren alles klar. Bei dem 5:1-Sieg zeigten die Französinnen allesamt eine starke Leistung, aus dem starken Kollektiv ragte aber besonders eine raus: Grace Geyoro von PSG, erzielte als erste Spielerin bei einer EM einen Hattrick in der ersten Hälfte und glänzte zudem mit starkem Passspiel und einer guten Zweikampfquote. Grund genug, sich die Mittelfeldspielerin einmal genauer anzuschauen.
So ganz hatte Grace Geyoro ihren Hattrick noch nicht realisiert, als sie nach dem Spiel vor das Mikrofon trat. "Marie (Katoto) bedient mich super und ich denke: 'Wow, ich finde mich in Positionen wieder, in denen ich normalerweise nicht bin!'", erzählte die 24-Jährige im Interview nach dem Spiel. "Ich hatte keine Zeit, mein erstes Tor zu realisieren, und dann kam das zweite ... Dasselbe gilt für das dritte." Geyoro hatte mit ihren Toren in der 9., 40. und 45. Minute erst Frankreichs Führung erzielt und diese dann zu einem komfortablen Halbzeitstand ausgebaut.
Ihre eigene Überraschung zeigt schon, dass Geyoro sonst nicht jeden Tag einen Hattrick erzielt. Es war ihr erster im Nationaltrikot, für die Equipe de France hat sie bisher in 50 Einsätzen elf Tore erzielt - das Spiel gegen Italien war also auch noch ein Jubiläum. Geyoro kann im Mittelfeld flexibel eingesetzt werden, spielt aber meist etwas defensiver als gegen Italien, als Absicherung vor der Abwehr oder als Box-to-Box-Mittelfeldspielerin. Die "ungewohnten Positionen" löste sie auf jeden Fall sehr gut, sodass sie auch zukünftig in dieser offensiven Rolle eingesetzt werden könnte.
Ihre Leistung war noch beeindruckender, wenn man berücksichtigt, dass sie noch vor drei Wochen zu Beginn der Vorbereitung eine Knieverletzung erlitt. Ihr Einsatz bei der EM stand auf der Kippe, Geyoros Ausfall wäre für Frankreich eine Hiobsbotschaft gewesen: Außer ihr spielte in der letzten Saison keine Mittelfeldspielerin bei einem europäischen Topklub, an ihrer Seite spielen meist Charlotte Bilbault und Sandie Toletti. Beide haben ein gutes Niveau, sind aber nicht Weltklasse - der Antrieb im Mittelfeld ist eindeutig Geyoro. "Ich habe versucht, alles auf eine Karte zu setzen, um für das erste Spiel in Form zu sein", sagte sie nach dem Spiel. Bei ihrer Leistung ist es keine Frage, dass sie auf die richtige Karte gesetzt hat.
Für ihr erstes Tor nutzte sie gedankenschnell aus, dass Italien den Ball nach einer Hereingabe von Geyoros Mitspielerin bei PSG, Kadidiatou Diani, nicht geklärt bekam, und schob flach unten ein. Für Frankreich ein wichtiger Treffer, denn in der Anfangsphase hatten Les Bleus hinten nicht ganz sattelfest gewirkt und konnten von Glück reden, dass Barbara Bonansea eine gute Chance für Italien vergab.
Das zweite Tor war, wie Geyoro selbst sagt, ihr liebstes an diesem Abend, und es entsprang einer schönen Kombination: Mittelstürmerin Marie-Antoinette Katoto kam Außenverteidigerin Eve Perisset entgegen und nutzte so eine Lücke im italienischen Mittelfeld. Katoto hatte bereits vorher Augenkontakt mit Geyoro aufgenommen, die in die Schnittstelle startete, sodass sie den Ball sehr schnell verarbeiten und passen konnte. Die italienische Verteidigung kam nicht hinterher, Geyoro nahm den Ball mit einer hervorragenden ersten Berührung an und ließ sich auch von der herausstürzenden Torhüterin nicht beirren.
Dieser Spielzug war an dem Abend noch mehrmals zu beobachten, Katoto kam immer wieder den Außenverteidigerinnen entgegen, um dann die schnellen Diani, Geyoro oder Cascarino zu bedienen. Mit einer 83 prozentigen Passquote machte sie das auch sehr gut und war in dieser Rolle das Paradebeispiel einer modernen Mittelstürmerin. Ein Tor erzielte sie dazu auch noch. Für Geyoro war ihr Zusammenspiel an diesem Abend der Schlüssel zum Erfolg:
"Sie (Katoto) ist eine Spielerin, die nicht nur Tore schießen, sondern auch anderen auflegen kann, das haben wir gesehen. Sie war sehr wichtig bei den schnellen Weiterleitungen vom Ball. Wir hatten diese Leichtigkeit, uns gegenseitig zu finden, weil wir uns sehr gut kennen. Das war auch der Schlüssel zu diesem Spiel."- Grace Geyoro
Gemeinsam mit Diani bilden die drei PSG-Spielerinnen ein sehr gefährliches Offensivtrio, das sich intuitiv kennt: Alle drei spielen bereits seit mindestens fünf Jahren für den Klub aus Frankreichs Hauptstadt, Geyoro kam mit 15 Jahren zu PSG.
Vielleicht noch exemplarischer für Geyoros herausragende Leistung an diesem Tag war das dritte Tor. Fünf Minuten später war es nämlich Geyoro selbst, die den Angriff mit einer Balleroberung nahe der Mittellinie einleitete. Sie fing einen ungenauen Pass ab, startete dann direkt mit dem Ball in Richtung Strafraum, um dann im richtigen Moment auf Cascarino abzuspielen. Danach bekam sie den Ball wieder und hatte, ungedeckt im Strafraum, beim Abschluss keine Mühe.
Interessant daran war auch, dass gleich zwei italienische Spielerinnen Katoto deckten, die heranrauschende Geyoro dabei aber komplett vernachlässigten. Das passierte noch bei zwei weiteren Situationen, ihre Läufe in die Box waren daher wahrscheinlich auch eine taktische Vorgabe, zudem die italienischen Verteidigerinnen nicht die schnellsten sind.
Aber nicht nur ihre Torgefahr machte Geyoro an diesem Abend zu der besten Spielerin auf dem Platz. Sie war zudem sehr passsicher und konnte 88 Prozent ihrer Bälle zu einer Mitspielerin bringen, womit sie einen großen Anteil daran hatte, dass Italiens Mittelfeld in der ersten Hälfte überhaupt keinen Zugriff auf das Spiel bekam. Gerade ihr Zusammenspiel mit Perisset, die auch immer wieder hoch aufrückte, funktionierte sehr gut.
Defensiv war Geyoro ebenfalls stark, konnte 63 Prozent ihrer Zweikämpfe gewinnen und acht Bälle zurückerobern. Ein Schwachpunkt sind weiterhin die Luftduelle, in denen sich die eher kleine Geyoro (1,66m) nur selten durchsetzen kann. Dagegen war sie im Gegenpressing sehr präsent und stellte außerdem gemeinsam mit Toletti intelligent die Laufwege der Italienerinnen zu. Dass die Leistung kein Ausreißer nach oben war, zeigen Geyoros Statistiken dieser Saison: Da ist sie bei 67 Prozent gewonnenen Zweikämpfen und 88,6 Prozent Passgenauigkeit.
Nur ihre Treffsicherheit kam gegen Italien noch dazu und rundete ihre Leistung ab. Aber auch ansonsten war Geyoro nie ein Chancentod und übertraf ihren xG, wurde aber meist in einer weniger offensiven Rolle eingesetzt, sodass sie nicht so oft im Strafraum auftauchte. Es scheint, als würde die neue Freiheit Geyoros Spiel sehr gut tun und ihre Qualitäten noch besser zum Vorschein bringen. Wenn sie auch weiterhin ihr Kombinationsspiel mit Katoto aufziehen darf und mit schnellen Läufen in die Box Chaos stiften kann, dann wird auch Grace Geyoro selbst von ihren Toren bald nicht mehr überrascht sein.