Cavanis Friseur
·16. Februar 2021
Cavanis Friseur
·16. Februar 2021
Der uruguayische und argentinische Fußball sind in tiefer Trauer: Santiago Morro García ist tot. Der Torjäger aus Uruguay beging im Alter von nur 30 Jahren Suizid. Wir blicken zurück auf ein bewegtes Leben.
Dies ist ein Gastbeitrag von Daniel Bramkamp
Am 6. Februar 2021 wurde der uruguayische Angreifer Santiago García, den alle nur als Morro kannten, im argentinischen Mendoza tot aufgefunden. Die schreckliche Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer.
García war einer der besten Stürmer in der Geschichte des argentinischen Erstligavereins Godoy Cruz und mit seiner herzlichen, scheinbar unbekümmerten Art bei Mit- wie Gegenspielern beliebt.
García wuchs in Uruguays Hauptstadt Montevideo im Stadtteil Colón auf. Schon in der Jugend wurde er von seinem Lieblingsklub, dem Club Nacional de Football, unter Vertrag genommen.
Sein Jahrgang 1990 war einer der stärksten in der jüngeren Geschichte des Vereins und stellte viele spätere Profis, darunter die Nationalspieler Sebastián Coates und Mauricio Pereyra.
Der Torjäger dieser Generation war immer fraglos Morro García, der 2008 im Alter von nur 17 Jahren für die erste Mannschaft debütierte.
Nur wenig später kannte jeder uruguayische Fußballfan den korpulenten Angreifer: Tor beim Debüt, Meistertitel in der Premierensaison, Torschützenkönig der Saison 2010/2011. Keine Frage, dass so jemand im Ausland Begehrlichkeiten weckte.
Unter den interessierten Klubs setzte sich Atletico Paranaense durch, das García für eine Ablöse von rund 4 Millionen Euro verpflichtete.
In Brasilien wurde er jedoch ebenso wenig glücklich wie anschließend bei Kayserispor in der Türkei. Auch ein Wechsel zurück zu Nacional 2014 brachte keinen Erfolg.
Dann folgte ein entscheidender Anruf: Juan Ramón Carrasco, sein früherer Coach bei Nacional, hatte den uruguayischen Klub River Plate übernommen und wollte seinen einstigen Starstürmer wieder unter seine Fittiche nehmen.
Für beide Seiten ging das perfekt auf: García spürte Carrascos Vertrauen, erzielte in der Apertura 2015 zehn Tore in 15 Spielen und machte sich damit international wieder einen Namen.
Mit reichlich Selbstvertrauen im Gepäck machte sich García auf ins Nachbarland Argentinien, zum eher mittelmäßigen Verein Godoy Cruz. Scheinbar kein Sensationstransfer, doch Godoy Cruz und García, das passte auf Anhieb.
In den fünf Jahren zwischen 2016 und 2020 wurde Morro mit 46 Treffern der beste Erstligatorschütze in der Geschichte des Vereins und der zweitbeste überhaupt. 2017/18 führte er den Tomba als Torschützenkönig sensationell zur Vizemeisterschaft.
In dieser Zeit avancierte der herzliche, offene García zum Führungsspieler und führte den Klub häufig als Spielführer aufs Feld. Seine Kapitänsbinde war blau, rot und weiß, die Tricolor seines Jugendklubs Nacional. Sein letztes Pflichtspiel absolvierte er am 19. Dezember 2020.
Auf dem Platz hatte Morro zwar mehr Erfolge denn Misserfolge vorzuweisen, doch neben dem Platz kämpfte García mit vielen Problemen.
Die Raufereien aus seiner Anfangszeit bei Nacional, wegen derer er auch mal ein paar Tage im Gefängnis landete (gemeinsam mit einigen Mitspielern sowie den Gegnern von Peñarol, darunter Fabián Lolo Estoyanoff) mögen in der Rückschau eher lustige Anekdoten sein, doch der kurze Gefängnisaufenthalt prägte García.
Kurz vor seinem Wechsel nach Brasilien wurde er positiv auf Kokain getestet. Es war die erste Kokainsperre im uruguayischen Fußball, dementsprechend verheerend fiel das mediale Echo aus.
Weil die Probe nicht FIFA-Kriterien entsprochen hatte, konnte er dennoch nach Brasilien wechseln. Die Zeit dort wurde für García aber zum Desaster, er selbst erzählte:
“Es hat einen Moment gegeben, als ich überlegt habe, ganz mit dem Fußball aufzuhören. Es war so schlimm, dass… eines Tages kam mein Bruder, öffnete die Tür und sah, wie ich hauste. Ich machte zu Hause nicht mal das Licht an, ich war total deprimiert und wollte nicht mehr Fußball spielen.”
Bei Kayserispor fühlte er sich ebenso unwohl, litt unter kulturellen Anpassungsschwierigkeiten und einer rabiaten Diät, zu der ihn der türkische Klub zwang.
Nachdem seine Karriere später bei Godoy Cruz wieder Fahrt aufgenommen hatte, fiel er sportlich wie psychisch erneut in ein Loch. In einem Radiointerview gab er im Sommer 2019 Einblick in sein Seelenleben:
“Wir [Fußballer] sind keine Roboter, wir sind nicht aus Stahl. Auch uns widerfahren Dinge, und dadurch ist die Leistung auf dem Spielfeld nicht optimal. Ich hatte mehrere persönliche Probleme, und das hat meine Leistung beeinflusst. Es war nicht leicht für mich (…)
Das sind Dinge, von denen die Öffentlichkeit nichts weiß, aber wenn man sie selbst erlebt, hat alles einen Grund. Das ist keine Entschuldigung für meine schwachen Leistungen. Ich habe mich fußballerisch nicht gut gefühlt. Dafür übernehme ich die Verantwortung und deshalb bin ich hier geblieben, um wieder zu meiner Form zurückzufinden.”
Doch García fand seine Form nicht mehr dauerhaft. Zum Saisonbeginn 2021 wurde er trotz gültigen Vertrags aus dem Kader gestrichen.
Präsident Mansur vermutete einen negativen Einfluss auf die Mitspieler und argumentierte, dass ein Führungsspieler mit Vorbildfunktion nicht so schlechte Fitnesswerte haben dürfe wie García. Der trainierte fortan isoliert von seinen Mitspielern und wurde zu allem Überfluss Ende Januar positiv auf Corona getestet.
Kurz vor seinem Suizid verhandelte er mit Nacional über einen Wechsel zurück zu dem Klub, dessen treuer Fan er ein Leben lang war, und zurück in das Land, in dem seine Tochter lebte. Doch dazu kam es nicht mehr.
Garcías Tod löste tiefe Bestürzung aus. In Mendoza fanden sich zahllose Fans von Godoy Cruz zusammen, um den Fanliebling gebührend zu verabschieden. In Montevideo, wohin Garcías Sarg überstellt wurde, kamen an Vereinssitz von Nacional und bei der Beisetzung ebenso viele Fans zusammen.
Und auf allen Kanälen meldeten sich geschockte ehemalige Mit- und Gegenspieler zu Wort, um ihre Trauer zu bekunden.
Die Gesten waren so zahlreich wie herzergreifend: Der enge Freund Diego Arismendi, der bei seinem Spiel mit Torque die frühere Kapitänsbinde Garcías trug: blau, rot und weiß. Der Fan, der im Trikot des ewigen Rivalen Peñarol an den Vereinssitz von Nacional kam, um zu trauern.
Sebastián Coátes, der als Innenverteidiger zeigte, was ihm sein Stürmerfreund in gemeinsamen Jugendzeiten beigebracht hatte und seinen Doppelpack für Sporting Lissabon dem Mann widmete, den er mit gebrochener Stimme einen „Bruder“ nannte.
Lolo Estoyanoff von Peñarol, der just im Spiel nach Garcías Tod sein erstes Tor seit fast drei Jahren erzielte und es dem Mann widmete, mit dem er einst gemeinsam im Knast gesessen hatte.
Nacional, das nachts ein einziges Licht im Stadion brennen ließ: In der Loge, die sich Santiago García mit Diego Arismendi, Sebastián Coates und Mauricio Pereyra teilte.
Am Tag darauf trafen die einzigen beiden Klubs aufeinander, für die García in Uruguay gespielt hatte: Nacional und River Plate. Es schien wie ein letzter Wink des Schicksals.
Allerdings war nicht jeder so taktvoll. Paranaenses Präsident Petraglia ließ es sich nicht nehmen, nur kurz nach Garcías Tod mehrere Tweets dazu zu verfassen, wie desaströs dessen Transfer und Verhalten in Brasilien gewesen sein und mit welchem Geschick er, Petraglia, den finanziellen Schaden in Grenzen gehalten hätte.
Morros letzter Klub Godoy Cruz brauchte lange, um einigermaßen angemessene Abschiedsworte zu finden und verschwendete zu viele Worte darauf, jegliche Verantwortung an Garcías psychischen Problemen abzustreiten.
Vielleicht kann man Santiago Garcías Leben und Tod so einordnen: Die Fans von Nacional unterstützten ihn, weil er einer der ihren war und den Verein genauso liebte und verteidigte wie sie.
Die Fans von Godoy Cruz liebten ihn, weil er mit vielen Toren in Vorleistung gegangen war und sie ihm durch seine Offenheit und Nahbarkeit auch schlechte Phasen verziehen.
Doch bei den Klubs, denen er sportlich nicht immer helfen konnte und bei deren Klubverantwortlichen, war die Geduld mit dem sensiblen García viel geringer.
Das Millionenbusiness Fußball vergisst zu häufig, dass psychische Gesundheit wichtiger als jeder Titel und jede Millionensumme auf dem Konto ist.
Facundo Tealde, Spielführer des uruguayischen Erstligisten Deportivo Maldonado, schrieb sich das Vermächtnis seines Freundes auf die Kapitänsbinde:
Wir sind nicht aus Stahl. Santiago García (1990-2021)
¡Hasta siempre, Morro!
Dies war ein Gastbeitrag von Daniel Bramkamp
(Titelbild: © Getty Images/Cavanis Friseur Illustration)
Wenn Sie selbst depressiv sind, wenn Sie Suizid-Gedanken plagen, dann kontaktieren Sie bitte die Telefonseelsorge im Internet oder über die kostenlosen Hotlines 0800/111 0 111 oder 0800/111 0 222 oder 116 123. Die Deutsche Depressionshilfe ist in der Woche tagsüber unter 0800 / 33 44 533 zu erreichen.
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