OneFootball
Matti Peters·4. Dezember 2022
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Matti Peters·4. Dezember 2022
Dass Louis van Gaal im August 2021 die Nationalmannschaft der Niederlande bereits zum dritten Mal übernahm, war nicht unbedingt zu erwarten, um nicht zu sagen eine große Überraschung. Und doch hat Oranje damit scheinbar alles richtig gemacht. Die Niederländer sind seit seiner Amtsübernahme in mittlerweile 19 Spielen ungeschlagen und stehen im Viertelfinale der WM 2022. Der Bondscoach hat daran einen riesigen Anteil.
Van Gaal mag mit 71 Jahren der älteste Trainer bei der WM in Katar sein, aber in seinem Fall ist das Alter nur eine Zahl. Er ist ein sehr fortschrittlicher Trainer, der seiner Zeit vor allem im fußballerischen und taktischen Bereich schon immer voraus war.
Positionsspiel, Ballbesitzfußball oder auch der moderne Totaalvoetbal waren alles Fußball-Revolutionen bei denen der Tulpengeneral über die Jahre als Revoluzzer seine Finger mit im Spiel hatte. Er hat die Spielweise vieler Topklubs wie Ajax, Barcelona und nicht zuletzt die des FC Bayern nachhaltig geprägt. Louis van Gaal war schon Influencer, bevor das überhaupt ein Ding war. In Katar lässt er die Elftal aber vor allem Turnierfußball spielen. Der ist nicht immer unterhaltsam, ansehnlich oder gar spektakulär, aber dafür erfolgreich.
Van Gaals Mannschaft hat als Gruppensieger mit nur einem Gegentor das Achtelfinale erreicht. Dort gab es einen 3:1-Sieg gegen die USA. Jetzt wartet Argentinien im Viertelfinale.
In seiner langen Karriere hat er viele Trophäen gewonnen und alle mit einer unvergleichlichen Energie abgefeiert. Wie damals auf dem Balkon des Münchner Rathaus, als es Küsse für die vielen Muttis in Rot und Weiß gab. Die Rede wurde zum viralen Hit im Internet, so wie es vermutlich von Influencer van Gaal geplant war.
Einzig der WM-Titel fehlt noch. Dass van Gaal mit 71 Jahren die Chance hat, diesen Makel noch zu beheben, das betrachtet er selbst als „das größte Geschenk, das ich je in meinem Leben bekommen habe“, wie er auf einer Pressekonferenz vor der WM verriet.
Wie es sich für einen echten Influencer gehört, nutzt van Gaal seine Reichweite auch für Statements, die zu Schlagzeilen führen. Die WM-Vergabe nach Katar kritisierte er bereits 2013, die Entscheidung der Fifa bezeichnete erst vor kurzem erneut als „lächerlich“. Das Gerede des Weltfußballverbandes von der Entwicklung des Fußballs im Emirat? „Bullshit.“ Es gehe der Fifa „ums Geld“ und auch nur darum.
„Ich finde es lächerlich, dass wir in einem Land spielen werden, um – wie die Fifa sagt – den Fußball dort zu entwickeln, in dem man dort ein Turnier austrägt“
Dem Verbot der One-Love-Binde entgegneten die Niederländer in der vergangenen Woche mit einer Aktion bei dem gemeinsam mit einigen Arbeitsmigranten trainiert wurde. Bei seinem ersten Auftritt in Doha sprach van Gaal jedem das Recht zu, die WM zu ignorieren. Trotzdem hofft er, „dass alle zuschauen, wenn wir im Finale sind – damit sie sehen, wie gut wir sind“.
Ein weiteres Merkmal eines Influencers – unerschütterliches Selbstbewusstsein. Als er bei der Oranje für seine dritte Amtszeit vorgestellt wurde, fragte er schlicht: „Wer sonst hätte diesen Job übernehmen können?“. Und als nach dem erneut wenig glanzvollen Auftritt gegen die USA ein Reporter gerade wieder seinen Spielstil anzweifelte, antwortete er grinsend: „Wir sehen uns im Finale!“.
Bei der Ankunft im Teamquartier nach dem Einzug ins Viertelfinale lieferte van Gaal dann auch den jüngsten Beweis dafür, dass er ein echter Influencer ist. Ein Tänzchen, ein Ständchen und das ganze wurde vom Feierbiest höchstpersönlich mit dem Handy festgehalten.
Bei all dem Einfluß stellt sich uns am Ende aber doch noch eine Frage: Woher nimmt er diese Selbstsicherheit? Vielleicht ist es die Tatsache, dass er als Bondscoach noch nie ein WM-Spiel in der regulären Spielzeit verloren hat. Vielleicht ist es aber auch der Teamgeist, den er Tag für Tag in den letzten Wochen formen und beobachten konnte. Vielleicht ist er der Zeit aber einfach wieder einmal voraus?