Miasanrot
·31. Dezember 2024
Miasanrot
·31. Dezember 2024
Von der Kölner Ersatzbank als Nachfolger von Manuel Neuer ins Tor des FC Bayern? Das könnte der Weg von Jonas Urbig sein. Auf den ersten Blick paradox, auf den zweiten Blick erklärbar.
Dass Jonas Urbig auf den Scoutingzetteln aller Topclubs steht, ist länger bekannt. Dass er nach seiner Degradierung in Köln dort sogar schon im Winter 2024/25 die Zelte abbrechen könnte, ist eine neue Entwicklung.
Für den FC Bayern könnte Jonas Urbig ein Puzzlestück in der komplizierten Torhüterplanung werden. Das macht Jonas Urbig und einen möglichen Transfer so interessant. Wenngleich die realistische Erwartung sein sollte, dass Urbig in erster Linie für die Bank kommt.
Der 21-jährige Jonas Urbig gilt seit Jahren als großes Torhütertalent. Seit der U17 hat er alle deutschen Jugend-Nationalteams durchlaufen. Aktuell teilt er sich mit Noah Atubolu die Rolle des Stammkeepers der U21-Nationalmannschaft.
Für Jahn Regensburg, Greuther Fürth und den 1. FC Köln kommt er auf 60 Zweitligaspiele. Vor allem in der der Saison 2023/24, als er an Greuther Fürth ausgeliehen war, machte der damals 20-Jährige auf sich aufmerksam.
Zwar musste er 48-mal hinter sich greifen, laut FBref hätten die “Post-Shot expected Goals” aber 53,3 Gegentore erwarten lassen. Seine 5,3 verhinderten Gegentore waren der drittbeste Wert der zweiten Liga. Beim kicker landete er in der Notentabelle auf Platz zwei der Torhüter.
Was zudem auffällt: Jonas Urbig fühlt sich in der Rolle des mitspielenden Torhüters wohl, mit und gegen den Ball. In Fürth kam er pro Spiel auf 2,7 Abwehraktionen außerhalb des Strafraums und führte damit die Liga an. Manuel Neuer liegt in der laufenden Saison bei 2,4 Abwehraktionen außerhalb des Strafraums pro Spiel und führt damit die Bundesliga an.
Urbig wurde in Fürth und Köln regelmäßig ins Passspiel eingebunden und wirkt sicher im Umgang mit dem Ball. Ähnlich wie Manuel Neuer kommt er bei langen Bällen auf rund 50% Erfolgsquote, während er im Kurzpassspiel kaum Fehler macht.
In der laufenden Saison konnte Urbig nicht an seine herausragende Vorsaison anknüpfen und verschlechterte sich in den Defensivstatistiken. Er ließ in Köln 2,5 Tore mehr als erwartet zu und klärte seltener außerhalb des Strafraums.
Der Transfersommer in Köln stand unter einem schlechten Stern. Abstieg und Transfersperre verhinderten große Bewegungen. Einzig verliehene Spieler durften zurückkehren. Einer davon war Jonas Urbig, der von Greuther Fürth zurück an den Rhein wechselte.
Die Kölner entschieden sich in erster Linie strategisch dazu, in dieser Situation auf ihr großes Talent zu setzen. Der bisherige solide Marvin Schwäbe (29) sollte abgegeben werden, blieb letztlich aber doch. Urbig wurde dennoch zur Nummer eins erklärt.
An den ersten zehn Spieltagen hatte der 1. FC Köln mit Urbig hinter einer Viererkette und generell sehr offensiv gespielt. 22 geschossene Tore und 2,4 erwartete Tore pro Spiel standen auf der Habenseite. Demgegenüber standen jedoch 20 Gegentore bei durchschnittlichen 1,5 erwarteten Gegentoren pro Spiel. Und nur zwölf Punkte und Tabellenplatz 12.
Unter Ergebnisdruck stehend gab Köln-Trainer Gerhard Struber seine offensive Ausrichtung auf. Er verwandelte sich über Nacht von Hansi Flick in Diego Simeone. Ab dem 11. Spieltag setzten die Kölner auf eine Fünferkette mit drei Innenverteidiger und eine deutlich defensivere Spielweise. Marvin Schwäbe erhielt den Vorzug vor Jonas Urbig. Und die Kölner legten eine Serie mit fünf 1:0-Siegen aus den nächsten sieben Spielen hin.
Während Köln in den ersten zehn Spieltagen 2,2 erwartete Tore pro Spiel zuließ, waren es vom elften bis zum 17. Spieltag nur noch 0,5 Tore pro Spiel. Marvin Schwäbe profitierte davon, ohne besonders glänzen zu müssen. Urbig hatte seinen Platz verloren.
Der Torhütermarkt in Deutschland, einst eine verlässliche Quelle für hochtalentierte Schlussmänner, steht derzeit vor einer Herausforderung, die fast schon einem Paradigmenwechsel gleicht: Angebot und Nachfrage geraten zunehmend aus dem Gleichgewicht. Ein Torhüterfachkräftemangel zeichnet sich ab, was den Wettbewerb um die wenigen vielversprechenden Talente verschärfen wird.
In der Bundesliga gehören Oliver Baumann (34) oder Michael Zetterer (29) derzeit zu den interessanten Namen. Beides Torhüter der Kategorie “solide, aber ohne internationales Top-Niveau”. Alexander Nübel (28) oder Gregor Kobel (27) wären offensichtliche Kandidaten, überzeugen aber auch nicht vollends.
Talente? Noah Atubolu sticht hervor. Der ist aktuell aber kein geeignetes Transferziel für den FC Bayern. Für einen reinen Talente-Kauf ist Atubolu in seiner Entwicklung zu weit fortgeschritten. Er dürfte weder günstig werden noch Interesse an einer Rolle als Nummer zwei haben. Gleichzeitig ist er noch nicht weit genug, um ihm bereits jetzt die Neuer-Nachfolger anzuvertrauen.
Hinter Atubolu reihen sich Talente wie Diant Ramaj (23, Ajax) und die Zweitliga-Junioren Tjark Ernst (21, Hertha), Max Weiß (20, Karlsruhe) und eben Urbig ein. Ansonsten bleibt nur der Blick ins Ausland.
Was den Wettbewerb um die Talente verschärft: Bayern ist nicht alleine mit der Nachfolgesuche. Die etablierten Nummer-eins-Torhüter der Tabellennachbarn aus Leverkusen, Leipzig und Frankfurt sind alle 34 oder älter. Wer auf diesem Markt nicht frühzeitig handelt, riskiert, im Wettbewerb um die wenigen Top-Talente aus Deutschland ins Hintertreffen zu geraten. Ein Jonas Urbig mag derzeit keine offensichtliche Lösung sein, aber angesichts der Marktlage könnte er sich langfristig als kluger Schachzug erweisen.
Die Suche nach dem Nachfolger von Manuel Neuer und die große Frage nach dem Wann und Wie dominieren die Diskussion ums Bayerntor. Aber die Neuer-Frage ist nicht die einzige. Die Zukunft aller vier Torhüter, die derzeit im Bayern-Kader stehen, ist unklar:
Es steht und fällt mit Manuel Neuer. Verlängert er oder lässt er sich von Philipp Lahm in den Ruhestand soufflieren?
Nur wenn Neuer geht, kann der FC Bayern groß einkaufen. Bisher schien das für den Sommer 2025 nicht geplant zu sein – andere Baustellen wirkten dringender. Doch wenn Wirtz nicht zur Verfügung steht, macht das vielleicht neue Gelder frei und eine der großen Lösungen à la Giorgi Mamardaschwili oder Diogo Costa wird eine Option.
Die Low-Budget-Version für einen FC Bayern ohne Neuer mit Alexander Nübel, Daniel Peretz und Sven Ulreich scheint derzeit keine große Rolle zu spielen.
Bleiben noch die Optionen mit Neuer. Der FC Bayern könnte in der bestehenden Viererkonstellation mit Ulreich, Peretz und Schmitt hinter Neuer weitermachen. Wenn er Ulreich noch vertraut und wenn Peretz noch will.
Oder der FC Bayern bleibt bei Manuel Neuer, stellt sich aber dahinter neu auf. Ulreich beendet die Karriere und Peretz wechselt für eine moderate Ablöse zu einem europäischen Mittelklasseverein. Die Ablöse könnte der FC Bayern in eine neue Nummer zwei investiere, zum Beispiel in Jonas Urbig.
Jonas Urbigs Situation in Köln ist eine besondere und seine Zeit am Dom geht dem Ende entgegen. Gleichzeitig ist die Lage im Bayerntor kurz- und mittelfristig völlig offen. Und kein designierter neuer Bayerntorhüter in Sicht. Das gilt für die Nummer eins und die Positionen dahinter.
Vor diesem Hintergrund bietet ein Transfer von Jonas Urbig, falls er für einen mittleren einstelligen Millionenbetrag zu haben ist, eine Chance, die der FC Bayern ergreifen sollte.
Der wahrscheinliche Ausgang des Urbig-Experiments? Er wird beim FC Bayern Ersatz oder verliehen und wechselt drei Jahre später weiter, wahrscheinlich für einen moderaten Transfererlös, vielleicht sogar mit einem kleinen Gewinn.
Aber er wäre bei derzeit vier Fragezeichen im Tor eine erste Antwort. Und eine kleine Chance, dass er es doch packt. Dass er als talentierter, mitspielender, deutscher Torhüter sein Potenzial ausschöpft und Nationaltorhüter und dauerhafter Neuer-Nachfolger wird. Dann würde er für den FC Bayern zum Schnäppchen werden.
Kaum Risiko und eine kleine Chance auf einen Jackpot. Das Los sollte der FC Bayern ziehen – nur nicht allzu enttäuscht sein, wenn es kein Jackpot wird.