90PLUS
·17. November 2020
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·17. November 2020
Spotlight | Nach acht Spieltagen steht Leicester City an der Tabellenspitze der Premier League. Einen großen Anteil an diesem Erfolg hat ein Spieler, der vor 18 Monaten noch in der dritten Liga spielte und nun plötzlich in der Nationalmannschaft gehandelt wird: James Justin.
Der Name James Justin (22) dürfte noch vor drei Jahren den wenigsten Fußballfans ein Begriff gewesen sein. Damals spielte der gelernte Außenverteidiger sehr unregelmäßig für seinen Heimatverein Luton Town. Die Konkurrenten Jack Stacey (24) und Dan Potts (26) waren einfach zu stark. Diese ergänzten sich sehr gut und somit konnte Justin nicht einmal die Fähigkeit, auf beiden Seiten zu spielen, weiterhelfen. Und man konnte Trainer Nathan Jones (47) nun wahrlich keinen Vorwurf machen. Die Mannschaft stieg, nachdem man vier Jahre zuvor noch in der fünften Liga spielte, in die dritte Liga auf.
Dort sah es zunächst ähnlich aus. In den ersten Spielen bekam Justin lediglich zwei Startelfeinsätze, ansonsten kam er wenn überhaupt von der Bank. Doch dann kam das Spiel am 20.10.2018 zu Hause gegen Walsall FC. Zu diesem Zeitpunkt stand man mit 19 Punkten aus 13 Spielen auf einem soliden zwölften Tabellenplatz. Doch dieses Spiel sollte alles verändern. Justin kam zur Pause für Potts und spielte derart stark, dass Coach Jones sich in der Folge gar nicht mehr dagegen wehren konnte, Justin in die Startelf zu befördern.
Nach dieser Umstellung verlor das Team keines der nächsten 28 Spiele, holte in dieser Zeit unfassbare 68 Punkte und sicherte sich durch diesen Lauf die Meisterschaft. Das Duo Stacey/Justin entwickelte sich mit insgesamt sieben Toren und 16 Vorlagen zum besten Außenverteidigerduo der gesamten Liga. Landauf und landab sprach man von den beiden. Kein Wunder also, dass beide die Championship übersprangen und direkt in die Premier League wechselten. Jack Stacey ging für 4,5 Millionen Euro zum AFC Bournemouth, James Justin für 6,7 Millionen Euro zu Leicester City. Bei seiner Vorstellung sagte er: “Ich bin überglücklich. Ich fühle mich bereit für diesen Moment. Ich hoffe, viel Energie und Engagement bringen zu können. Der Trainer ist großartig, er entwickelt junge Spieler sehr gut. Jeder schwärmt in den höchsten Tönen von ihm, ich hoffe, er kann auch mir helfen.”
In Leicester angekommen, musste er sich allerdings zunächst einmal erneut hintenanstellen. Zu stark war das Duo Ben Chilwell (23) und Ricardo Pereira (27). Erst als sich Pereira in der Coronaunterbrechung das Kreuzband riss, kam die Chance von Justin. Er setzte sich gegen Daniel Amartey (25) durch, der diese Position aushilfsweise in der Vergangenheit regelmäßig bekleidet hatte und der eigentliche Backup von Pereira war. Die Leistungskurve des Teams ging zwar nach unten, aber das war kein Wunder. Pereira galt nämlich in Topform als einer der besten Rechtsverteidiger der Liga. Dennoch spielte Justin gut genug, um Trainer Brendan Rodgers (47) von sich zu überzeugen. So holte man mit Timothy Castagne (24) nur einen Nachfolger für den abgewanderten Chilwell, jedoch keinen weiteren Außenverteidiger, um Pereira zu ersetzen, der mindestens bis Jahresende ausfallen wird.
Warum James Justin in so kurzer Zeit einen solch enormen Schritt in seiner Karriere machte, ist einfach zu erklären. Er ist ein technisch starker und zugleich physisch robuster Außenverteidiger, der durch seine Beidfüßigkeit beide Seiten bespielen kann. Aufgrund seiner bemerkenswerten Kopfballstärke und der genannten Robustheit kann er außerdem ohne Probleme in der Innenverteidigung spielen. Das ist insbesondere bei einer Dreierkette eine gute Option. Dazu kann er durch seine Stärke im Dribbling, seine Qualitäten im Passspiel und seiner Sicht für freie Räume durchaus auch im Mittelfeld auf beiden Außenbahnen eingesetzt werden. Bei Leicester spielte er in dieser Saison bereits auf vier verschiedenen Positionen: Als Innenverteidiger, als rechter Schienenspieler, als linker Schienenspieler und als linker Verteidiger.
Seine Schwächen sind vor allem das Tempo und das Stellungsspiel. Letzteres ist zum Einen seiner Unerfahrenheit geschuldet, zum Anderen sicherlich auch den ständigen Rochaden zwischen den Positionen. Dadurch fehlt etwas der Rhythmus, die Abläufe und Laufwege verändern sich. Dies dürfte sich in den nächsten Jahren deutlich verbessern. Das Tempo hingegen könnte ein echtes Problem werden, sollte sein Weg langfristig der eines Außenverteidigers bleiben. Offensiv kann er dieses fehlende Tempo jedoch klug kaschieren, indem er einen sehr guten Blick für freie Räume hat und sich sehr gut in diese hinein bewegt. Defensiv hingegen hat er gegen schnelle Flügel oder auch Flügelverteidiger wie beispielsweise Tariq Lamptey (20) durchaus seine Probleme.
Trainer Brendan Rodgers sagt über ihn: “Er hat das bereits in seiner ersten Saison sehr gut gemacht. Er wusste, dass er hinter Chilwell und Pereira war. Dennoch hat er versucht, sich jeden Tag zu verbessern und sich Dinge von den beiden abzuschauen. Das ist sehr klug, denn die beiden gehören zu den besten Spielern auf ihrer Position. Jetzt ist er so weit, das Gelernte anzuwenden. Er ist ein anderer Spielertyp als Pereira, er versucht deutlich mehr, über das Dribbling zu kreieren. Das gefällt mir sehr gut. Damit bricht er sehr oft die Linien der gegnerischen Verteidigung.”
Sein Werdegang und seine Vielseitigkeit haben allerdings auch Schattenseiten. Dadurch, dass er nicht aus einer der großen Jugendakademien kommt, flog er lange Zeit für die englischen Junioren-Nationalmannschaften unter dem Radar. So machte Justin erst mit 19 Jahren sein erstes Spiel in einer solchen. Zur U21 wurde er ebenfalls sehr spät berufen, nämlich mit 21 Jahren und sechs Monaten. Wären Reece James (20) und Trent Alexander-Arnold (22) nicht schon bei der A-Nationalmannschaft, würde Justin wohl immer noch auf seine Nominierung warten müssen.
Ob er jemals ein fester Bestandteil der englischen Nationalmannschaft sein kann, wird sich daher noch zeigen. Ein Nationenwechsel ist im Gegensatz zu vielen anderen Spielern auf der Insel keine Option für ihn, er besitzt nur den englischen Pass. Doch wer weiß, vor 18 Monaten schien auch ein Stammplatz in der Premier League noch undenkbar.
(Photo by Tim Keeton – Pool/Getty Images)