90PLUS
·17. Februar 2025
Noch eine Woche bis zum Showdown: Was die Rivalität zwischen Gala und Fener so besonders macht

90PLUS
·17. Februar 2025
Auf der ganzen Fußball-Welt gibt es nur wenige Spiele, die für eine Stadt, ja ein ganzes Land eine derartige Bedeutung haben wie das Istanbul-Derby zwischen Galatasaray und Fenerbahce. Was diese Partie aber von anderen unterscheidet: Die Kontrahenten kommen von unterschiedlichen Kontinenten.
Deshalb wird das Aufeinandertreffen der türkischen Top-Klubs als Kıtalar Arası Derbi, als das interkontinentale Derby bezeichnet. Rivalitäten wie das Old Firm in Schottland oder der Clásico in Spanien mögen ebenso tiefe historische, gesellschaftspolitische oder auch religiöse Wurzeln haben – doch die Unterschiede zwischen Galatasaray und Fenerbahce suchen global gesehen wahrlich ihresgleichen.
Der Galatasaray Spor Kulübü wurde im Jahr 1905 gegründet und befindet sich im europäischen Teil der Millionenstadt Istanbul. Nur zwei Jahre später trat auf der anderen Seite des Bosporus der Fenerbahce Spor Kulübü auf den Plan. Diese geografische Trennung bildet die historische Grundlage der heute bestehenden und mittlerweile tief verwurzelten gegenseitigen Abneigung.
„Galatasaray und Fenerbahce repräsentieren unterschiedliche gesellschaftliche Strömungen“, erklärt auch Anil Polat, Chefredakteur des News-Outlets GazeteFutbol, das auf deutsch über den türkischen Fußball berichtet. „Galatasaray sieht sich historisch als gebildet, westlich orientiert und als Klub der Oberschicht.“
Und blickt man auf die Historie des Vereins, verwundert dieser Blickwinkel nur wenig: Anfang des 20. Jahrhunderts nahmen Schüler der Istanbuler Eliteschule Galatasaray Lisesi zunächst als Zuschauer an Fußballspielen ausländischer Mannschaften teil. Doch die vor allem von Engländern und Griechen geführten Partien enttäuschten die Schüler, die daraufhin den Entschluss fassten, einen eigenen Verein ins Leben zu rufen.
Gänzlich anders gestaltete sich die Situation dagegen am anderen Ufer des Bosporus. „Fenerbahce war eher traditionell, populistisch und konservativ geprägt und sieht sich ähnlich wie Besiktas als Verein des Volkes“, erläutert Polat. „Diese Kluft wurde gerade durch Feners Lage auf der asiatischen Seite und der damit assoziierten Verbundenheit mit der anatolischen Türkei unterstrichen.“ 1907 gründete sich der Klub im Erdgeschoss eines Hauses im Istanbuler Stadtviertel Moda.
Was heute als eine der erbarmungslosesten Rivalitäten im Weltfußball bekannt ist, war lange Zeit jedoch ein vermeintlich normales Aufeinandertreffen zweier gegnerischer Teams, die sich sogar eine Spielstätte teilten. Gala und Fener gingen ihre ersten größeren Schritte – ähnlich wie Besiktas – im legendären Taksim-Stadion, das 1940 abgerissen wurde und einem Park weichen musste. Die Fanlager beider Mannschaften saßen auf den Tribünen völlig gemischt untereinander. Ein mittlerweile völlig undenkbares Szenario. „Erst als die Stadien getrennt wurden und auch die Medienberichterstattung in den 1980- und 1990ern zunahm, wurde die Rivalität immer intensiver“, schildert Polat.
Heutzutage seien es vor allem die sozialen Medien, welche die gegenseitige Abneigung befeuern würden. „Das Internet ist ein permanenter Nebenkriegsplatz der beiden Klubs, die sich ständig gegenseitig verbal attackieren, auch wenn Sie nicht gegeneinander spielen.“ Bestes Beispiel: Nachdem Gala im September des vergangenen Jahres einen 3:1-Derbysieg feierte, holte die Medienabteilung der Aslanlar zum Rundumschlag gegen Fener-Trainer Jose Mourinho aus. Auf X, ehemals Twitter, teilte der Tabellenführer eine Fotoshop-Montage, die einen traurig dreinschauenden Mourinho zeigte und diesen als „The Crying One“ bezeichnete. „So stacheln sich die Klubs und damit auch ihre Anhänger gegenseitig ständig auf, sodass die Stimmung nahezu jede Woche zwischen den beiden Vereinen und ihren Anhängerschaften hochkocht“, ordnet Polat Provokationen dieser Art ein.
(Photo by Ahmad Mora/Getty Images)
Eben jene Emotionen sind es, die das interkontinentale Derby so besonders machen. Sowohl Gala als auch Fener verfügen über unglaublich leidenschaftliche Anhänger, die vor allem in den Spielen gegen den jeweiligen Rivalen zu absoluter Höchstform auflaufen. Beide Fanlager sind bekannt für ihre unermüdliche Unterstützung und ihre emotionale Bindung zum Team. Die Stadien, Türk Telekom Arena (Galatasaray) und Kadıköy-Stadion (Fenerbahçe), verkommen während der Derbys zu schier überbrodelnden Hexenkesseln. Die Atmosphäre ist elektrisierend, da die Anhänger alles geben, um ihre Mannschaft zu unterstützen.
Denn neben dem Kampf um die Vorherrschaft in der Stadt geht es immer wieder auch um potenziell entscheidende Punkte im Rennen um die Süper-Lig-Krone. Galatasaray und Fenerbahce sind die klaren Big Player des türkischen Fußballs und dominieren den Nationalsport seit Jahrzehnten. Gala feierte in der vergangenen Saison den 24. Meistertitel der Vereinsgeschichte, während Fener insgesamt 19-mal triumphieren konnte. Deutlicher gestaltet sich die Situation dagegen im Türkiye Kupasi: Mit 19 Erfolgen ist Gala klarer Rekordhalter, die gelben Kanarien holten „nur“ siebenmal den Titel.
„Beide Vereine sind extrem erfolgsorientiert, nicht nur im Fußball, sondern in allen Sportbranchen“, so Polat. „Galatasaray war in der jüngeren Vergangenheit der siegreichere Fußballverein. Fenerbahce aber sieht sich als größter Sportklub der Türkei und ist in zahllosen anderen Bereichen sehr erfolgreich. Dazu zählen unter anderem Basketball, Volleyball und Leichtathletik.“
Die Kontrahenten aus der 15-Millionen-Einwohner-Metropole sind überregional ungemein populär und spalten nicht nur die Stadt Istanbul, sondern viel eher die gesamte Türkei in ein rot-gelbes und ein blau-gelbes Lager. Polat führt jährliche Umfragen von Socios und Bilyoner an, wonach es etwa 38 Prozent der türkischen Fußballfans mit Gala halten. Fener folgt mit einem knappen Rückstand und kann knapp 32 Prozent aller Zuschauer hinter sich vereinen. In Istanbul selbst hat der Rekordmeister in 60 von 81 Provinzen ebenfalls die Nase vorne.
(Photo by Ahmad Mora/Getty Images)
Ihre zahlenmäßige Unterlegenheit machen die Anhänger aus dem anatolischen Teil der Stadt jedoch mit absoluter Hingabe wett. Ihre Gesänge und Choreographien sind berüchtigt und tragen in nahezu sämtlichen Spielen zu einer einzigartigen Atmosphäre bei. Als historisch betrachtet eher weniger privilegierter und traditioneller Klub haben die Fener-Fans zudem eine enge Verbindung zu den sozialen Aspekten des Lebens der Menschen in der Region. Sich selbst beschreiben sie gerne als den „Zwölften Mann“.
Doch der Zwölfte Mann wird den Schützlingen von Startrainer Mourinho am kommenden Montag (24.02.) nur wenig nützen, wenn es zum verhassten Rivalen in die benachbarte Türk Telekom Arena geht. Im September 2022 entschied das Gouverneursamt der Stadt, dass Istanbul-Derbys zukünftig ohne die Beteiligung von Auswärtsfans stattfinden würden. Jenes Urteil schloss auch die Partien mit Beteiligung von Besiktas ein. Mittlerweile ist ist ein reduziertes Gästekontingent wieder zulässig.
Doch dass so ein Beschluss überhaupt vonnöten war, untermauert einmal mehr den einzigartigen Stellenwert des interkontinentalen Derbys. Denn die Rivalität zwischen Galatasaray und Fenerbahce ist weitaus mehr als nur ein sportliches Ereignis. Es ist ein tief verwurzeltes kulturelles und gesellschaftliches Phänomen, das mindestens zweimal im Jahr die gesamte Stadt Istanbul in Atem hält. Und nächste Woche ist es wieder soweit. Einen historischen Derby-Rückblick und eine sportliche Vorschau auf die anstehende Begegnung erwarten euch in den kommenden Tagen.
(Photo by Ahmad Mora/Getty Images)