REAL TOTAL
·6. Oktober 2024
REAL TOTAL
·6. Oktober 2024
Der Carvajal-Schock bereitet Kopfzerbrechen – Foto: REAL TOTAL-Grafik: Getty Images
MADRID. Im Januar die Supercopa de España, im Mai die spanische Meisterschaft, im Juni die Champions League, im Juli die Europameisterschaft, im August der UEFA Super Cup: Daniel Carvajal wird das Kalenderjahr 2024 sicherlich als das wundervollste seiner bisherigen Karriere bezeichnet haben – bis zu dieser schicksalhaften Nachspielzeit gegen den FC Villarreal, mit der sich unerwartet doch noch ein dunkles Kapitel eröffnete.
Nach der abgelaufenen regulären Spielzeit waren zwei Minuten und 35 Sekunden gelaufen, als sich der Vizekapitän der Königlichen in einem Zweikampf mit Yéremy Pino einen Totalschaden im rechten Knie zuzog: Riss des vorderen Kreuzbandes, Riss des äußeren Seitenbandes, Riss der Sehne in der Kniekehle.
Angesichts des Zustandekommens und der schmerzvollen Reaktion von Carvajal hatte man früh Schlimmes erwartet – berechtigterweise, wie sich herausstellen sollte.
Und jetzt, Florentino Pérez? Und jetzt, Carlo Ancelotti? Der bedrückte Cheftrainer wurde in der Pressekonferenz nach dem 2:0, das an diesem am 9. Spieltag von LaLiga von jetzt auf gleich zur Nebensache geworden war, mit einer möglichen Reaktion auf dem Winter-Transfermarkt konfrontiert. Dieser öffnet seine Pforten im Januar.
Es sei erst einmal „nicht der Tag“, daran zu denken, so Ancelotti. Klar ist für ihn: „Lucas Vázquez gibt uns viel Zuversicht. In der Länderspielpause haben wir die Zeit, um über dieses Thema zu reden – mit dem Wissen, dass der Transfermarkt geschlossen hat. Es gibt nicht viele Optionen. Wir müssen schauen, wen wir im Falle eines Ausfalls des nun einzigen Rechtsverteidigers, der Lucas Vázquez ist, auf dieser Position aufstellen.“
Ancelotti wurde an diesem traurigen Abend letztlich doch noch etwas humorvoll, indem er wiederum betonte: „Ich nicht.“ Eine ernsthafte Antwort gibt es auf die Schnelle nicht, dafür ist die Nummer 2 als Spieler und Leader auch viel zu bedeutend. Carvajal erlebte nach zuvor eher durchwachsenen und von Muskelverletzungen geplagten Jahren seit der vergangenen Saison so etwas wie seinen zweiten Karriere-Frühling. Aufgrund seiner starken Leistungen galt er nicht zu unrecht als der weltbeste Rechtsverteidiger, ja sogar als potentieller Kandidat auf den Ballon d‘Or, der in drei Wochen offenbar Vinícius Júnior überreicht wird.
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Für Kopfzerbrechen sorgt der Carvajal-Schock auch rein aus numerischer Sicht. Die Position auf der rechten Abwehrseite ist nur noch mit Vázquez besetzt. Hinter dem eigentlichen Ersatz herrscht ab sofort auf den ersten Blick Leere, weil sich niemand Offensichtliches hervortut, der sich den Job mit dem früheren Rechtsaußen teilen könnte. Die Nummer 17 wird dort die nächsten Wochen und Monate gewiss die erste Wahl sein, braucht vor dem Hintergrund der Belastung jedoch auch mal Pausen, bestreitet daher nicht jede Partie.
Als Problem kommt hinzu, dass die Abwehr an sich ohnehin nicht bestens aufgestellt ist. Aktuell fit: Vázquez, Antonio Rüdiger, Éder Militão, Ferland Mendy, Fran García und Jesús Vallejo, dazu mit Jacobo Ramón ein Akteur aus der zweiten Mannschaft. Nicht einsatzfähig: Carvajal und David Alaba. Gerade in der Saison, in der er für sich offenbar keine rosige Einsatzperspektive mehr sah, hätten die Blancos den flexiblen Nacho Fernández noch bestens gebrauchen können. Wie bitter, dass er weg ist! Ob rechts, innen oder links: Der Ex-Kapitän war stets zur Stelle, wenn ein personeller Engpass herrschte.
Was ein typischer Ancelotti nun machen würde: Den grundsätzlich vielseitigen Federico Valverde hin und wieder nach hinten rechts beordern. Mit aus seiner Sicht geeigneten Mittelfeldspielern stopft „Carletto“ in einer Notfallsituation in der Viererkette ja gerne mal Löcher, davon können Aurélien Tchouaméni und Eduardo Camavinga ein Lied singen.
Valverde hatte unter Zinédine Zidane das Rückspiel im Viertelfinale der Champions League im Jahr 2021 gegen den FC Liverpool (0:0) tatsächlich auch mal als Rechtsverteidiger gespielt, damals den Vorzug vor dem gelernten Álvaro Odriozola erhalten. Seitdem blieb diese Rolle dem Uruguayer aber völlig fremd – bis jetzt? Der 26-Jährige könnte auch deshalb zu einer gelegentlichen Option werden, da er unter Ancelotti ohnehin viel nach hinten mitarbeitet, um auf der rechten Verteidigerseite Räume zu schließen. Das tut er immer dann, wenn er als rechter Flügel zum Zug kommt, was inzwischen allerdings seltener der Fall ist.
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Seine neue Position ist das zentrale Mittelfeld, der Sechser-Bereich. Der Gedanke einer sporadischen Rechtsverteidiger-Aushilfe liegt aber auch daher nahe, da sich mit Camavinga und Daniel Ceballos kürzlich zwei andere Profis für die Schaltzentrale vor der Abwehr zurückgemeldet haben. Mit ihnen sowie Luka Modrić wäre es etwas denkbarer, aus Valverde eine Art Joshua Kimmich zu machen. Eine Ideal-Lösung auf lange Sicht wäre er im Gegensatz zum deutschen Nationalmannschaftskapitän dort jedoch nicht – ebenso wenig wie ein Militão, Rüdiger oder Vallejo. Erst recht nicht, solange Alaba noch abwesend ist. Eine Alternative wäre noch: Militão geht nach rechts, Tchouaméni verteidigt dafür innen.
Dass sich Spieler aus der zweiten Mannschaft Hoffnungen auf mehr als nur Nominierungen für einen Spieltagskader machen dürfen, gilt dennoch als unrealistisch. Das Vertrauen in sie ist generell gering. Kandidaten wären Lorenzo Aguado (22) und David Jiménez (20). Die Castilla hat übrigens erst im Sommer mit Vinícius Tobias ein Rechtsverteidiger wieder in Richtung Shakhtar Donetsk verlassen, der nicht selten Profi-Luft schnupperte.
Drei Monate muss Ancelotti überstehen, weil sich zudem unter den vereinslosen Profis auch keine Real-würdigen Optionen befinden. Dass die Verantwortlichen dann auf dem Transfermarkt zuschlagen – gut vorstellbar. Anders als nach den monatelangen Verlusten von Militão und Alaba, als man sich mit Nacho, Tchouaméni und Carvajal neben Rüdiger noch ordentlich aufgestellt sah. Diesmal sieht es anders aus, vielmehr so wie nach dem Courtois-Rückschlag, als das Tor kurzzeitig ähnlich dünn besetzt war.
Fürs Erste bleibt „Carletto“ aber nichts anderes übrig, als auf dem Trainingsgelände durch den Profitrakt zu gehen und zu fragen: Kann hier noch einer Rechtsverteidiger?