90PLUS
·9. Juli 2024
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·9. Juli 2024
Steht uns mit dem Halbfinal-Kracher zwischen Spanien und Frankreich das nächste „vorgezogene Finale“ ins EM-Haus? Zumindest auf dem Papier. Während La Roja die deutschen EM-Stadien verzaubert, stottert der Motor bei Didier Deschamps und seiner Mannschaft noch. Große Probleme kann die Équipe Tricolore den Iberern aber allemal bereiten.
Der Tenor war deutlich, als die Halbfinal-Paarungen feststanden: Allerspätestens jetzt ist Spanien der klare Favorit auf den Gewinn der Europameisterschaft. Selbst der französische Mittelfeldmann Adrien Rabiot musste auf der Pressekonferenz vor dem Kracher in München neidlos anerkennen, dass La Roja bislang „den besten Fußball des Turniers gespielt“ hat. Spanien ist nicht nur die spielstärkste, sondern auch facettenreichste Mannschaft des Turniers.
Dass die Selección gerne den Ball hat, ist mittlerweile spanisches Kulturgut. Dank ihrer furios aufspielenden Flügelzange um Youngster Lamine Yamal und Nico Williams setzen die Iberer aber auch verstärkt auf Umschaltmomente, die beim Switch von Offensive auf Defensive gleichwohl herausragend gut funktionieren. Dafür spricht, dass der Europameister von 2008 und 2012 häufig hoch anläuft, dabei aber erst zwei Tore im gesamten Turnierverlauf kassierte. Beim denkbar knappen 2:1-Sieg nach Verlängerung im Viertelfinale gegen Deutschland stellte die Auswahl von Luis de la Fuente zudem ihre Widerstandsfähigkeit unter Beweis.
Spanien erfüllt damit im Grunde alles, was einen Titelfavoriten zu einem solchen macht. Aufgrund der breiten Qualitätsdichte im Kader dürfte auch der Ausfall dreier Stammspieler keine signifikante Rolle spielen. Die gelbgesperrten Dani Carvajal und Robin Le Normand sowie Pedri, der sich gegen Deutschland früh verletzte und mehrere Wochen ausfällt, werden aller Voraussicht nach durch Jesús Navas, Nacho Fernández und Viertelfinal-Matchwinner Dani Olmo ersetzt. Der Qualitätsschwund sollte sich in Grenzen halten.
Spaniens Nationaltrainer Luis de la Fuente. (Photo by LLUIS GENE/AFP via Getty Images)
Selbst Nationalcoach de la Fuente gerät zuweilen ins Schwärmen über seine eigene Mannschaft. „Wir sind ein Team, dem man gerne zuschaut“, sagte der 63-Jährige sichtlich stolz auf der Pressekonferenz am Montag. Zwischen den Zeilen betonte der frühere Übungsleiter vom Athletic Club, Alavés und diversen spanischen Juniorenauswahlen aber, dass Schönheit im Spiel nicht alles sei und man „auch effizienten Fußball spielen” müsse, um die Franzosen zu knacken.
Denn: Nur eine Mannschaft hat im bisherigen Turnierverlauf weniger Treffer als die Spanier kassiert, und das sind die Franzosen. Ein einziges Mal musste Torhüter Mike Maignan hinter sich greifen, beim 1:1 gegen Polen. In vier von fünf Spielen hielten Les Blues die Null. Das liegt natürlich auch daran, dass Frankreich in allen Mannschaftsteilen herausragend gut besetzt ist. Dayot Upamecano und William Saliba haben sich als Innenverteidiger-Pärchen durchgesetzt und das zuletzt mit einer starken Leistung gegen Portugal (5:3 im Elfmeterschießen) gerechtfertigt. Die Mittelfeld-Garde vor ihnen besteht aus vielen zweikampfstarken Spielern wie N’Golo Kanté, Aurelién Tchouaméni und Eduardo Camavinga. Noch entscheidender als die Namen ist aber das starke Zusammenspiel in der Hintermannschaft. Gegen den Ball steht die Équipe Tricolore kompakt, verschiebt gut im Verbund und ist eklig, sobald der Gegner die Mittellinie überquert. Die defensive Abstimmung passt.
Allerdings ist eine starke Defensive selbstredend nicht die ganze Miete. Kein neues, aber ein dafür umso größeres Manko bei den Franzosen: Der Angriff. Der kontrollierte, aber sehr risikoscheue und von vielen als langweilig verschriene spielerische Ansatz Deschamps fällt zulasten der herausragend bestückten Offensive um Kylian Mbappé und Antoine Griezmann, die ihren Erwartungen in Deutschland bislang hinterherhinken. Wenngleich der Coach der Franzosen fast schon gebetsmühlenartig betont, dass die Defensive der Schlüssel zum Erfolg sei, nahm er vor dem Halbfinale explizit auch seine Angreifer in die Pflicht: „Eine solide Defensive ist in einem großen Wettbewerb sehr wichtig, aber das reicht nicht aus – wir müssen sicherstellen, dass wir auch in der Offensive effizient sind“, gab Deschamps vor.
Vorne stimmt vieles noch nicht: Didier Deschamps im Gespräch mit seinem Topstar Kylian Mbappé. (Photo by Alex Grimm/Getty Images)
Effizienz ist ein entscheidendes Stichwort bei Les Blues. Zwar hat der Weltmeister von 2018 große Probleme im Herausspielen von Chancen, da Risikobereitschaft, die entscheidenden Läufe in die Box und ein echter Strafraumstürmer fehlen, dennoch hat sich die Deschamps-Elf in den fünf bisherigen Turnierspielen genügend Chancen erspielt, um einen Expected-Goals-Wert von 8,1 Treffern zu erzielen (fbref.com). Sie schossen deren drei – und nicht einen einzigen (!) davon aus dem Spiel heraus.
Auch deswegen zieht Deschamps in Erwägung, gegen Spanien Olivier Giroud ein erstes Mal von Beginn an zu bringen. „Er war nicht weniger effizient als andere Spieler“, sagte der Nationaltrainer, ohne sich in die Karten blicken lassen zu wollen. Zudem wäre der ablösefrei von Milan zum Los Angeles FC transferierte Routinier der Strafraumstürmer, den Deschamps in seinem Starensemble sonst vergeblich sucht. Mit Giroud hätten die Franzosen eine stärkere Präsenz im gegnerischen Sechzehner. Und spätestens dann, wenn sie dort mehr Durchschlagskraft entwickeln und ihre Chancen endlich nutzen, wird aus einer leichten Favoritenrolle Spaniens ein waschechtes 50:50-Duell.
(Photo by ODD ANDERSENJAVIER SORIANO/AFP via Getty Images)
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