MillernTon
·7. November 2024
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·7. November 2024
Am Samstag trifft der FC St. Pauli am Millerntor auf den Deutschen Rekordmeister, Bayern München. Ein Duell, welches einiges mehr zu bieten hat als nur „Weltpokalsiegerbesieger“-Shirts.Titelfoto: Torsten Baering, Imago Images via OneFootball
Was Menschen, die in Fan-Dingen nicht so tief drin stecken, immer wieder überrascht, ist die durchaus gute Beziehung der beiden führenden Ultra-Gruppierungen. USP und Schickeria sind schon seit vielen Jahren freundschaftlich eng verbunden. Auch an diesem Wochenende wird das Aufeinandertreffen beider Teams gemeinsam gefeiert. Wie es dazu kam, was sonst alles zwischen beiden Vereinen schon passierte – kommt mit!
Im Juni 1949 gab es das erste Aufeinandertreffen beider Teams – in Hannover. Das Spiel in der Qualifikationsrunde zur Deutschen Meisterschaft endete nach Verlängerung 1:1, sodass am nächsten Tag (Montag) an gleicher Stelle das Wiederholungsspiel angesetzt wurde. Der FC St. Pauli (unter anderem mit Karl Miller, Walter Dzur und Harald Stender) besiegte die Bayern mit 2:0. Im Viertelfinale scheiterte der FCSP dann (erneut nach Wiederholungsspiel) am 1. FC Kaiserslautern.
Als im August 1963 die Bundesliga erstmals ihren Spielbetrieb aufnahm, waren beide Vereine außen vor. Während für Hamburg immerhin noch ein aktueller Zweitligist antrat, trat aus München der jetzige Drittligist 1860 an, der allerdings 1966 auch Deutscher Meister wurde.
St. Pauli und Bayern trafen sich am Ende dieser ersten Saison, in der Aufstiegsrunde im Juni 1964, gemeinsam mit Tasmania Berlin und Borussia Neunkirchen. Am Millerntor Im Volksparkstadion sollen (unter anderem laut fussballdaten.de) 26.000 Menschen Zeuge eines historischen Ereignisses gewesen sein. Nein, damit meine ich nicht die 0:4-Niederlage des FCSP, sondern das Debüt von Franz Beckenbauer in der ersten Mannschaft des FC Bayern. Er erzielte auch das zwischenzeitliche 0:3. Sepp Maier stand damals schon zwischen den Pfosten.Doch nach Niederlagen gegen Neunkirchen und in Berlin reichte den Bayern auch das abschließende 6:1 im Rückspiel nicht zum Aufstieg, den stattdessen Neunkirchen schaffte. Torschütze im zweiten Spiel war unter anderem erneut Franz Beckenbauer, für St. Pauli traf Guy Acolatse, der Stürmer aus Togo. Die Bayern schafften den Aufstieg dann ein Jahr später.
1977 stieg der FC St. Pauli erstmals in die erste Bundesliga auf, der FC Bayern war längst die ganz große Nummer in Fußballdeutschland. Während Sepp Maier weiterhin das Tor hütete, war Franz Beckenbauer soeben nach New York gewechselt. Auch ohne den „Kaiser“ hatten die Bayern aber im Olympiastadion keine großen Probleme und gewannen mit 4:2. Karl-Heinz Rummenigge stürmte zwar für die Bayern, alle vier Tore aber schoss ein gewisser Gerd Müller.Das Rückspiel im Dezember 1977 im Volkparkstadion sah hingegen einen FC Bayern, der mit 14:20 Punkten eine der schlechtesten Hinrunden der Geschichte gespielt hatte und auch in Hamburg nur ein 0:0 mitnehmen konnte. St. Pauli stieg am Saisonende als Tabellenletzter ab, Bayern beendete die Saison mit 32:36 Punkten auf Rang 12.
Es folgte der Aufstieg 1988 und die bisher längste Verweildauer der Kiezkicker in der ersten Liga. Im November 1988 wiederholte man am ausverkauften Millerntor das 0:0, verlor im Mai 1989 in München aber mit 2:1 gegen den späteren Deutschen Meister. Jens Duve hatte in der 55. Minute den Endstand besorgt.
Im Oktober 1989 wurde auf dem Cover der Stadionzeitung „Millerntor Magazin“ der „Klassenkampf“ ausgerufen. Uli Hoeneß verstand keinen Spaß, witterte „politische Agitation“ und wetterte leicht unsachlich: „Wenn im Olympiastadion jemand mit einer Hakenkreuzfahne auftaucht, schmeiße ich ihn auch raus!“ (FC St. Pauli Vereinsenzyklopädie, Galczynski/Carstensen, Seite 167). Tatsächlich wurde die Ausgabe des Stadionheftes daraufhin mit einem Verkaufsverbot belegt. Thomas Strunz (79.) und Manfred Bender (86.) trafen spät zum 0:2-Auswärtssieg.Das Rückspiel im Mai 1990 fand an einem Mittwochabend statt und lockte nur 15.000 Zuschauende ins Olympiastadion. Heute kaum noch vorstellbar, zumal am drittletzten Spieltag und mit dem FC Bayern als souveränen Tabellenführer. Tatsächlich stand mit dem 1:0-Heimsieg, den Hans Pflügler durch sein Tor in der 16. Minute sicherstellte, sogar der Titelgewinn fest!
Es folgte die erfolgreichste Bundesligasaison für den FCSP im direkten Vergleich mit dem FCB: Ein Sieg und ein Unentschieden. Blöd nur: Am Ende stand der Abstieg.An einem Dienstagabend im August 1990 reiste der FC Bayern zum 2. Spieltag nach Hamburg. Das beim letzten Mal verbotene Stadionheft feierte jetzt: „Hoeneß kommt: Die größte Show der Welt!“ und dies war nun selbst für Hoeneß als beißende Ironie zu erkennen. Er versuchte daher auch nicht, dieses Heft zu verbieten. Am ausverkauften Millerntor gab es mal wieder kein Heimtor für den FCSP, im vierten Liga-Heimspiel gegen die Bayern aber immerhin das dritte 0:0.
Deutlich legendärer das Rückspiel im März 1991: Der Tabellenführer aus München trifft im Olympiastadion auf den tief im Abstiegskampf steckenden Hamburger Stadtteilverein, der kurz zuvor Helmut Schulte als Trainer entlassen und Horst Wohlers neu installiert hatte. Erneut hatten sich nur 15.000 Menschen ins weitläufige Olympiastadion verirrt. Diese erlebten das Pflichtspieldebüt von Bernd Hollerbach und sahen in der 43. Minute mit an, wie Ivo Knoflicek bei einem Konter auf Ralf Sievers ablegte, der von halblinks mit links ins lange Ecke vollstreckte. Trotz bester Chancen zu erhöhen, blieb es am Ende bei diesem knappen Erfolg. // YouTube
Doch es half trotzdem nicht: Am Saisonende stand der Relegationsplatz und es folgte der Abstieg im Drama von Gelsenkirchen gegen die Stuttgarter Kickers. Doch dies ist eine andere Geschichte…
Jürgen Klinsmann traf im Oktober 1995 am Millerntor, es war der einzige Treffer beim 1:0-Sieg der Bayern. Fast hätte Oliver Schweißing es ihm im Rückspiel in München gleich getan: Sein Treffer aus der 43. Minute gab lange Zeit Anlass zur Hoffnung, dass dem FC St. Pauli erneut ein Sieg im Olympiastadion gelingen könnte. Obwohl auch dieses Spiel an einem Mittwoch stattfand, hatte der Fußball-Boom inzwischen Einzug gehalten und 46.000 Menschen sahen, wie erneut Jürgen Klinsmann in der 90. Minute doch noch den 1:1-Ausgleich erzielte.St. Pauli hielt die Klasse, Bayern wurde (mit sechs Punkten Rückstand) nur Zweiter hinter Borussia Dortmund.
Trotz dieser Vizemeisterschaft eröffneten die Bayern in der Folgesaison wieder die Liga – und zwar mit einem Auswärtsspiel in Hamburg. 45.957 Menschen sahen, wie Martin Driller in der 19. Minute den FC St. Pauli in Führung brachte – diese Zahl dürfte allen bereits verdeutlichen, dass der FCSP mal wieder in den Volkspark umgezogen war. Noch vor der Pause drehten Ruggerio Rizzitelli (35.) und Mario Basler (37.) die Partie, Bayern gewann 2:1.Deutlich weniger Menschen (33.000) versammelten sich im Februar beim Rückspiel im Olympiastadion. Jürgen Klinsmann (2x) und Thomas Helmer sorgten für einen ungefährdeten 3:0-Sieg der Bayern. Am Saisonende stand der FCB auf Platz 1 und der FCSP auf Platz 18.
Nach dem erneuten Aufstieg 2001 ging es recht früh nach München, ein letztes Mal gastierte der FCSP bei den Bayern im Olympiastadion. Tihomir Bulat, Moudachirou Amadou, Henning Bürger, Deniz Baris – wohlklingende Namen für die Älteren unter uns. Doch sie alle konnten nicht verhindern, dass Ciriaco Sforza und Giovane Elber schon vor der Pause den 2:0-Endstand vor 60.000 Zuschauenden herstellten.
Es folgte ein Datum, welches viele noch immer bei spontaner Befragung nachts im Schlaf aufsagen können: 6. Februar 2002 – der FC St. Pauli wurde zum Weltpokalsiegerbesieger. Der FCSP hatte am 20. Spieltag in Rostock verloren, fünf Punkte Rückstand auf das rettende Ufer betrug der Abstand für den Tabellenletzten bereits. Erst zwölf Punkte hatte man in den 20 Spielen holen können.Auch die Bayern brillierten nicht gerade, trotz errungenem Titel als „Weltpokalsieger“ lag man in der Liga nur auf Rang 4, hatte am Wochenende aber immerhin Tabellenführer Leverkusen mit 2:0 besiegt.Simon Henzler im Tor, Cory Gibbs, Jochen Kientz, Christian Rahn, Holger Stanislawski, Zlatan Bajramovic, Morton Berre, Dema Kovalenko, Thomas Meggle, Nico Patschinski, Marcel Rath. Dazu die später eingewechselten Deniz Baris und André Trulsen. Wie sollte dieses von Dietmar Demuth trainierte Team den Gästen unter Ottmar Hitzfeld Paroli bieten?
Doch der Rest ist Geschichte. Thomas Meggle nach einer halben Stunde zum 1:0, Nico Patschinski nur drei Minuten später vor der alten Nordkurve zum 2:0. Ein magischer Abend am Millerntor. Der Anschlusstreffer von Willy Sagnol in der 87. Minute kam zu spät, St. Pauli feierte, Hoeneß zürnte mit den eigenen Spielern. „Sie essen Scampi und ich habe eine schlaflose Nacht!“ Währenddessen sollen, so die Legende, Hendrik Lüttmer und Heiko Schlesselmann beisammen gesessen und Flüssigkeit zu sich genommen haben. Das „Weltpokalsiegerbesieger“-Shirt entstand bei diesem Austausch. 400 Stück soll laut Abendblatt-Jubiläumsbuch „Forza St. Pauli“ die erste Auflage betragen haben, nach drei Monaten waren hingegen 25.000 Stück verkauft. // YouTube
Doch auch hier ist das Ende bekannt: Während Bayern noch die CL-Quali und Platz 3 erreichte, stieg der FC St. Pauli als Tabellenletzter mit 22 Punkten ab – und in der Folgesaison dann sogar nochmal aus der 2. Liga in die Regionalliga.
Dieser erneute Abstieg und die desolate Finanzlage sorgten für ein Erdbeben rund ums Millerntor, verbunden mit der RETTER-Kampagne. Ein ähnliches Shirt wie das bereits angeführte „Weltpokalsiegerbesieger“-Shirt wurde zum Verkaufsschlager, viele weitere Aktionen wurden gestartet – und auch der FC Bayern kam zum „Retter-Spiel“ am 12. Juli 2003 ans Millerntor. Der einst hier so verhasste Uli Hoeneß wurde als Wohltäter gefeiert und bejubelt.
Weniger bekannt hingegen, dass dieses Spiel auch die Geburtsstunde jener bis heute andauernden und noch sehr viel intensiver gewordenen Freundschaft zwischen USP und der Schickeria war. Wie auf der Seite der Schickeria nachzulesen ist, gab es auch beim FC Bayern damals erhebliche Unruhe. Weniger sportlich, schon gar nicht finanziell – sondern im Drumherum mit den Fans. Nach angeblicher Randale bei der Meisterfeier strich der FC Bayern der aktiven Fanszene 300 Dauerkarten. Die St. Pauli Fanszene solidarisierte sich bei jenem Spiel mit mehreren Tapeten, siehe Titelbild. Beide Ultra-Gruppen kamen nach dem Spiel im Viertel miteinander ins Gespräch – and so it began!
Die Bokal-Serie des FC St. Pauli in der Saison 2005/06 (NDR-Doku) dürfte ein ganz wichtiger (finanzieller) Baustein für das sein, was der FCSP seitdem erreichen konnte. Sehr wahrscheinlich, dass es ohne die Pokaleinnahmen ganz anders gelaufen wäre.Das Ende dieser Serie kam dann aber im Halbfinale des DFB-Pokals gegen den FC Bayern. Owen Hargreaves erzielte nach einer Viertelstunde die frühe Führung für die Gäste und lange hielt man die Partie offen. Ein Doppelschlag von Claudio Pizarro (84. & 89.) beendete dann spät die zarten braun-weißen Hoffnungen auf das Bokalfinale in Berlin.
Auch der Ball ging schlußendlich nicht rein.
// (c) Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images via OneFootball
Das Pokalfinale gewannen hingegen die Bayern gegen Eintracht Frankfurt und mussten dann in der 1. Runde der folgenden Saison 2006/07 gleich wieder ans Millerntor. Timo Schultz brachte den Drittligisten nach einer guten halben Stunde sogar in Führung, Lukas Podolski glich zu Beginn der zweiten Hälfte aus. Es ging in die Verlängerung, Lucio sah Rot für eine Tätlichkeit gegen Meggle und dank eines überragenden Patrick Borger ging es ins Elfmeterschießen, welches Borger mit dem Verwandeln des letzten Strafstoßes zum Sieg unsterblich machte.Ups, sorry… so hätte es eigentlich lauten sollen. Doch während Borger tatsächlich das Spiel seines Lebens machte, wischte er sich in der 105. Minute eine Flanke von Philipp Lahm unglücklich selbst ins Netz. Der FC St. Pauli schied mit 1:2 nach Verlängerung aus – am Saisonende aber stand endlich die Rückkehr in die 2. Liga.
Timo Schultz (am Boden), Fabian Boll und Felix Luz bejubeln den Führungstreffer.
// (c) Martin Rose/Bongarts/Getty Images via OneFootball
Die Saison 2010/11 ist schnell erzählt: Beim bisher einzigen Spiel (zumindest gegen die Bayern) in der Allianz-Arena gab es am 16. Spieltag eine 3:0-Niederlage, bei der man bis zum Platzverweis für Keeper Kessler in der 68. Minute nur mit 1:0 zurücklag und wirklich gut mithielt.Und das Rückspiel… nun ja. Eine 1:8 (0:2)-Niederlage am 33. Spieltag, bei der die Chancen auf den Klassenerhalt vorher zwar klein aber zumindest noch vorhanden waren, von den Bayern aber komplett pulverisiert wurden. Und ein Millerntor welches das (bisher letzte) Heimtor des FC St. Pauli in der 78. Minute durch Marcel Eger ebenso überschwänglich feierte, wie nach dem Abpfiff (und dem somit auch rechnerisch feststehenden Abschied) den scheidenden Trainer Holger Stanislawski.
Feierlichkeiten, die nicht für alle im Stadion wirklich nachvollziehbar waren – fragt in einer ruhigen Minute doch mal Tim, wie er das fand. Er ist da aber bei Weitem auch nicht der Einzige.
Machen wir uns nichts vor: Die Chancen sind gering. Aber das waren sie auch im März 1991 in München und an jenem 6. Februar 2002 am Millerntor. Manchmal hat der Fußballgott ja auch ein feines Gespür für Situationskomik, ein erstes Heimtor seit 2011 wäre doch gegen den gleichen Gegner wie damals irgendwie passend. Noch besser natürlich, wenn man zusätzlich an die vielen „zu Null“-Spiele anknüpfen könnte, die es gegen die Bayern am Millerntor ja auch schon gab.
Forza St. Pauli!// Maik
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