MillernTon
·2. November 2024
MillernTon
·2. November 2024
Endlich, endlich, endlich bringt der FC St. Pauli gute Defensive und effiziente Offensive in einem Spiel zusammen. Der Lohn: Ganz wichtige drei Punkte gegen die TSG Hoffenheim.(Titelfoto: Daniel Kopatsch/Getty Images/via OneFootball)
Es waren fürchterliche Minuten des Bangens. Jede Minute in der zweiten Halbzeit verging langsamer als die davor und der FC St. Pauli wurde von der TSG Hoffenheim immer tiefer und tiefer in die eigene Hälfte gedrängt. Für mich ein nur ganz schwer auszuhaltender Zustand, in dem ich (im Urlaub) irgendwo zwischen Bildschirm anschreien und „Ich kann da nicht hinsehen!“ wandelte. Doch die bangen Minuten haben sich gelohnt, das Mitfiebern, Mitleiden, Mitzittern wurde belohnt mit drei Punkten für Braun-Weiß. Fantastisch!
Im Vergleich zum Pokalspiel in Leipzig gab es eine einzige Veränderung in der Startelf des FC St. Pauli: Erwartungsgemäß kehrte Carlo Boukhalfa zurück ins defensive Mittelfeld und verdrängte dort Robert Wagner. Scott Banks, Connor Metcalfe und Elias Saad fehlten weiterhin wie auch Simon Zoller und drei Torhüter.
Viel mehr Rotation gab es auf Seiten der TSG Hoffenheim. Auf gleich fünf Positionen kamen neue Spieler in die Startelf: Gendrey, Nsoki, Bischof, Prass und Kramaric begannen anstelle von Akpoguma, Jurasek, Kaderabek, Tohumcu und Tabakovic. Doch im Vergleich zum letzten Bundesligaspiel gab es nur den Wechsel Akpoguma-Gendrey in der Innenverteidigung.
Direkt in der ersten Spielminute war eigentlich schon alles zu sehen, was die TSG Hoffenheim in diesem Spiel vorhatte: Nur knapp verpasste Marius Bülter im FCSP-Strafraum eine Flanke. Sowohl die Flanke als auch die Ungenauigkeit waren prägende Merkmale des Hoffenheimer Spiels mit dem der FC St. Pauli vor allem in den Anfangsminuten ziemliche Probleme hatte.
Die TSG Hoffenheim agierte in einem 3-4-3 gegen den FC St. Pauli. Im Zentrum versuchte der FCSP mannorientiert gegen die Doppelsechs zu spielen, was gelang sofern sich Bischof nicht dieser Deckungsweise entzog, indem er auf die linke defensive Außenbahn auswich. Die vordere Dreierreihe des FC St. Pauli hatte eigentlich ebenfalls eine klare Zuordnung, weil Hoffenheim oft mit drei Innenverteidigern aufbaute. Problematischer waren die Außenbahnen, wo es für den FCSP öfter Probleme mit Unterzahl-Situationen gab.
Ich bin nicht sicher, ob sich die Verantwortlichen der TSG Hoffenheim die defensive Spielweise des FC St. Pauli genau angeschaut hatten und deshalb einen Fokus auf die Außenbahnen gelegt haben. Jedenfalls organisierten sich die Hoffenheimer Schienenspieler zusammen mit jeweils einem Spieler der offensiven Dreierreihe der TSG auf der Außenbahn. Für das 5-2-3 des FC St. Pauli bedeutete es, dass man sich entweder schnellstmöglich fallenlassen und zu einem 5-4-1 zusammenfinden oder aber einer der äußeren Innenverteidiger mit auf die Außenbahn rausschieben musste. Beides ist alles andere als optimal für die Verteidigungsarbeit. In jedem Fall war das Arbeitspensum für Saliakas und Treu/Ritzka brutal hoch.
Entsprechend gelang es Hoffenheim einige Male, wie auch direkt in der ersten Spielminute, auf der Außenbahn eine Gleichzahl-, teilweise sogar eine Überzahl-Situation herzustellen. So konnte die TSG ein ums andere Mal hinter die Kette des FC St. Pauli gelangen und einige gefährliche Flanken hereinschlagen. Wobei das Wort „einige“ angesichts von insgesamt 38 Hoffenheimer Flanken im gesamten Spiel eine dreiste Untertreibung ist.
Das Problem für Hoffenheim: Dieses Stilmittel war so ziemlich das einzige, welches einigermaßen funktionierte gegen die kompakte Defensivarbeit des FC St. Pauli. Und das aber auch nicht sonderlich gut. Denn zwar konnten viele der Flanken nicht verhindert werden, doch von den 38 Hoffenheimer Flankenversuchen kamen auch nur maue sieben beim Mitspieler an. Erst in der 14. Minute gab es überhaupt den ersten Torabschluss der Partie, der natürlich ein Kopfball war (von Hlozek). Und je länger das Spiel dauerte, umso besser konnte der FCSP diese Situationen verteidigen (weil Saliakas und Treu, später Ritzka, konzentrierter rausschoben, „galliger“ waren, wie Blessin später erklärte), war insgesamt gut darauf eingestellt.
Offensiv hatte der FC St. Pauli in diesen Anfangsminuten eigentlich noch gar nichts angeboten. Zwar gab es einige gute Ballgewinne, doch waren diese Bälle dann auch (zu) schnell wieder weg. Ich muss zugeben, dass in meinen Notizen zum Spiel die Worte „Jacko knüpft nahtlos an Leipzig an“ und „Dapos Fehlerquote tut weh“ standen. Ich habe sie nach 20 Spielminuten gelöscht…
Hauke Wahl hatte auch noch ein paar Tage nach Halloween mit grimmigen Gestalten zu kämpfen. Der Innenverteidiger ließ sich, wie das gesamte Team des FC St. Pauli, davon aber nicht abschrecken. // (Daniel Kopatsch/Getty Images/via OneFootball)
Denn mit der ersten Offensivaktion der Partie, just als der FC St. Pauli zum ersten Mal zumindest ein wenig den Ball in den eigenen Reihen halten konnte, wurde Jackson Irvine auf der rechten Seite tief geschickt und fand mit seiner Flanke Dapo Afolayan im Strafraum. Der Sekundenzeiger bei dieser Aktion verdient besondere Aufmerksamkeit. Denn die Uhr zeigte genau Minute 19:10 als Afolayan den Ball traf. Wie also hätte dieser Treffer für den FC St. Pauli nicht gelingen können?!
Die Führung für den FC St. Pauli war zu diesem Zeitpunkt sicher etwas schmeichelhaft. Und ähnlich wie beim Spiel in Freiburg gilt: Wenn du solche Spiele gewinnen willst, dann musst du solche Chancen halt auch nutzen. Bis zur Pause kam nur noch ein weiterer Abschluss dazu. Zudem wurde in der 27. Minute noch lautstark ein Handelfmeter gefordert, der zwar sicher von einigen Schiedsrichtern auch gegeben wird, aber das war schon ok hier weiterspielen zu lassen. Von Hoffenheim kam bis zum Pausenpfiff immer weniger. Aus Sicht des FCSP war das natürlich ein ziemlich guter Spielverlauf und mit der Führung im Rücken musste man offensiv sowieso eher weniger Präsenz zeigen. Dass sich bei diesem Spiel der Tabellen-15. und Tabellen-16. trafen, wurde aber vor allem zum Ende der ersten Halbzeit deutlich sichtbar.
Die TSG Hoffenheim wechselte zur Halbzeit. Für den harmlosen Hlozek kam mit Haris Tabakovic ein kopfballstarker Angreifer in die Partie. Wie man den Plan fassen kann mit vielen Flanken zum Erfolg zu kommen und dann erstmal ausgerechnet Tabakovic auf der Bank sitzen lässt, erklärt sich mir zwar nicht, aber das spielte dem FC St. Pauli sicher ziemlich in die Karten. Denn als Tabakovic dann drin war, zeigte sich der FCSP viel besser auf die Spielweise der Hoffenheimer eingestellt.
Mit Anpfiff der zweiten Halbzeit war der Spielverlauf auch klar vorgezeichnet: Hoffenheim würde versuchen schnellstmöglich zum Ausgleich zu kommen und besonders in den ersten Minuten extrem viel investieren. Der FC St. Pauli hingegen musste genau diese Phase schadlos überstehen und bestenfalls in Form von Kontern zuschlagen. Das gelang fast direkt mit Wiederanpfiff, als Guilavogui den Ball an den Pfosten setzte. Wenig später verpasste Tabakovic auf der Gegenseite nur knapp. Das darf man auch nicht vergessen bei der fast ungezügelten Lobhudelei in diesem Artikel: So ein Spiel wird ganz anders erzählt, wenn die TSG Hoffenheim eine ihrer Chancen genutzt hätte. Zwar waren es nicht viele, aber sie waren eben da und wir haben in dieser Saison ja bereits schmerzvoll erfahren müssen, dass viele Teams genau solche Chancen dann auch nutzen.
Doch nicht so die TSG Hoffenheim, die zwar öfter mal gefährlich in Tornähe auftauchte, aber nur selten auch gefährlich zum Abschluss kam. Viel eher brannte es im TSG-Strafraum in der 55. Minute, als Baumann stark gegen Guilavogui parierte. Sowieso Guilavogui: Was für ein Pensum der abspulte und wie wertvoll der für den FC St. Pauli ist. Offensiv war er seinem ersten Ligator mal wieder sehr, sehr nahe. Defensiv war er für das Team vielleicht sogar noch etwas wertvoller, weil er mit viel Laufarbeit die Räume schloss und einige Male irgendwie noch den Fuß im Zweikampf dazwischen bekam (gewann insgesamt 23 Duelle und damit deutlich die meisten aller Spieler auf dem Platz). Und das auch noch mit einer Extraportion Vorsicht, die nach seiner gelben Karte in der 63. Minute (und einem weiteren Foul ein paar Minuten später) notwendig war.
Auch wenn Guilavoguis Defensivleistung vielleicht etwas wichtiger gewesen ist, so war sein Tempo für die Offensive schon auch von enormer Bedeutung. Denn für das Konterspiel fehlte eigentlich genau das – und es kam auch keines hinzu. Zwar wurde Lars Ritzka relativ früh nach der Pause eingewechselt (hoffentlich geht es Philipp Treu gut!), es dauerte aber bis zur 80. Minute, ehe es einen weiteren Wechsel beim FC St. Pauli gab. Und dass dabei Robert Wagner für Dapo Afolayan ins Spiel kam und tatsächlich auch die Dapo-Position vorne rechts einnahm, zeigte dann sehr deutlich, dass spätestens ab dieser 80. Minute mit jeder Faser das eigene Tor verteidigt werden sollte.
Ich schrieb zu Beginn dieses Artikels, dass die Spielminuten immer langsamer vergingen. In der Phase von der 80. Minute bis zum Albers-Treffer bin ich gefühlt um Jahre gealtert. Der FC St. Pauli stand nun tief, im 5-4-1 und Entlastung gab es zumeist nicht mehr in Form von Kontersituationen, sondern oft nur noch durch Befreiungsschläge, die keinesfalls an eigene Mitspieler adressiert waren, sondern an TSG-Torwart Baumann oder das Seitenaus. Auch die zweiten Bälle nach den vielen Hoffenheimer Flanken landeten nun zielsicher in den Beinen des Gegners. Wirklich gefährlich wurde es zwar nur einmal in dieser Phase (Tabakovic in der 85. Minute – na klar, nach einer Flanke), die Bedrohung für das FCSP-Tor war aber omnipräsent.
Doch in der Nachspielzeit war es dann Jacko, der den FC St. Pauli erlöste. Hoffenheim hatte einen Einwurf tief in der Hälfte des FCSP. Boukhalfa (der ebenfalls ein klasse Spiel machte) konnte zuvor erst nicht klären und dann versprang Ritzka der Ball auch noch ins Aus. Irvine antizipierte den Hoffenheimer Pass ins Zentrum nach dem Einwurf perfekt und setzte dann mit dem Ball am Fuß zum Sprint an (er ist übrigens laufstärkster Spieler auf dem Platz gewesen – und dann in der Nachspielzeit noch so einen Sprint ansetzen, wow!). Die „3-gegen-1“-Situation wurde perfekt ausgespielt und Irvine steckte durch zu Albers, der trocken links einschob. Der Rest ist eine große Jubeltraube und kurz nachdem wieder angepfiffen wurde, war das Spiel dann auch endgültig beendet. What a win!
Sätze, die wohl nur wenige erwartet hätten, aber umso schöner klingen: Andreas Albers sorgt mit seinem Treffer für die Entscheidung bei der Partie des FC St. Pauli gegen die TSG Hoffenheim. // (Daniel Kopatsch/Getty Images/via OneFootball)
Dieser Sieg ist sooo verdient. Vielleicht nicht unbedingt aufgrund des Spielverlaufs. Aber der FC St. Pauli hat sich diesen Erfolg mit guten Leistungen in den letzten Wochen mehr als verdient. Nach der bitteren Niederlage in Dortmund blickte man schon mit einer gewissen Anspannung auf die Partien gegen Wolfsburg und Hoffenheim. Weil für den Klassenerhalt eben auch dringend Punkte geholt werden müssen. Beide Partien beendete der FCSP ohne Gegentreffer, holte vier Punkte. Der Erfolg in Hoffenheim ist auch eine Art Belohnung für den ganzen Aufwand, den das Team betreibt. Und er zeigt einmal mehr: Dieser FC St. Pauli hat alle Chancen den Klassenerhalt in der Bundesliga zu schaffen.
In der Tabelle wurde der Platz mit Hoffenheim getauscht. Der Blick in die nähere Umgebung zeigt viele bereits bekannte Gesichter: Bochum, Kiel, Hoffenheim, Mainz, Wolfsburg, Heidenheim, Augsburg. Alles keine Über-Teams. Im Gegenteil, es sind viel eher alles Clubs, mit denen sich der FC St. Pauli mutig und selbstbewusst messen kann. Nun wurde endlich eines der Duelle gegen einen direkten Konkurrenten gewonnen. Es folgt ein nicht ganz so direkter Konkurrent: Der FC Bayern München. Der ist aber der einzige Club, der sich neben dem FC St. Pauli keinen Gegentreffer in den letzten 180 Bundesligaminuten gefangen hat (meine Güte, bin ich beschwingt!!!). Diese Defensive muss man erstmal knacken!Immer weiter vor!// Tim
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