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Maximilian von Stuckrad-Barre·2. Februar 2025
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Maximilian von Stuckrad-Barre·2. Februar 2025
Kaum etwas ist im modernen Fußball so wichtig wie Flexibilität. Wenn man Meldungen zu Neuverpflichtungen als Gradmesser nimmt, scheint es sogar fast schon das höchste Gut zu sein, dass ein Fußballer verschiedene Positionen und Rollen ausfüllen kann.
Schließlich wird ein gerade transferierter Spieler beinahe immer, wenn er im Verlauf seiner bisherigen Karriere nicht ausschließlich auf einer einzigen Position gespielt hat, während der Vorstellung beim neuen Klub dafür gelobt, "flexibel einsetzbar" zu sein, "Flexibilität in der Offensive" zu bieten oder - um auch in der Wortwahl flexibel zu sein - "unglaubliche Vielseitigkeit" mitzubringen.
Insofern ist es fast schon merkwürdig, dass Bayer Leverkusens Sportchef Simon Rolfes den am Mittwoch von Aston Villa verpflichteten Emiliano Buendía so vorstellte: "Emiliano Buendía ist ein guter, technisch versierter Fußballer, der leidenschaftlich und durchsetzungsstark agiert. Er hat sich in der anspruchsvollen Premier League in mehr als 100 Spielen bewährt und bringt viel Erfahrung mit, um uns sofort bei der Erreichung unserer Ziele weiterzuhelfen."
Nanu? Wo ist denn die Flexibilität? Hat Leverkusen da etwa einen Zehner geholt, der nur als Zehner spielen kann?
Ganz im Gegenteil: Emiliano Buendía hat während seiner Profilaufbahn bereits die Positionen Zehner, hängende Spitze, Neuner, Rechtsaußen, rechtes Mittelfeld, Linksaußen, linkes Mittelfeld, zentrales Mittelfeld und Rechtsverteidiger ausgefüllt. Entweder hat Simon Rolfes also einfach nur das ständige Flexibilitätsgefasel satt oder er weiß eben, dass der auf dem Papier vielleicht flexibelste Spieler der Bundesliga überhaupt gar nicht so flexibel ist, wie man im ersten Moment vermutet. Was ihn zum vielleicht spannendsten Wintertransfer der Bundesliga macht: Das ist sogar eine gute Sache.
Die entscheidende Frage dabei ist nämlich, wie man Flexibilität versteht. Geht es darum, auf vielen verschiedenen Positionen spielen zu können, macht niemand in der Bundesliga Buendía in Sachen Vielseitigkeit etwas vor. Die Flexibilität, die Sportdirektoren meinen, wenn sie ihren jüngsten Schnapper anpreisen, bezieht sich für gewöhnlich aber vor allem auch auf die unterschiedlichen Rollen, die ein Spieler durch ein breites Fähigkeitenprofil ausfüllen kann. Ein Innenverteidiger, der schnell ist, kann dadurch auch als Außenverteidiger spielen. Wenn er ein gutes Passspiel hat, kann er meistens auch als Sechser eingesetzt werden.
In dieser Hinsicht ist Bundía aber so gar nicht flexibel. Als nomineller Zehner könnte ihn eine gewisse Kopfballstärke auch für den Sturm qualifizieren. Die hat der 1,72-große Argentinier aber nicht. Ein starker Antritt oder eine hohe Endgeschwindigkeit könnten ihn zu einer validen Option für die Außenbahnen machen, Buendía ist für einen Offensivspieler allerdings vergleichsweise langsam. Eine gute Zweikampfführung oder eine außergewöhnliche Ausdauer als Empfehlungsschreiben fürs zentrale Mittelfeld hat er auch nicht. Und trotzdem ist er auf jeder dieser Positionen eine sehr, sehr gute Wahl. Denn Emiliano Buendía kann ganz vieles nicht, dafür aber etwas, das auf eigentlich jeder Position funktioniert: Fußballspielen.
Und dieses Fußballspielen passiert bei Spielern, die keine überragenden physischen Eigenschaften haben, eben zu wesentlichen Anteilen im Kopf. Wenn Buendía einen Verteidiger stehen lässt, dann nicht, weil er schneller war, sondern weil er den Verteidiger vorher überzeugt hatte, abzuspielen oder schießen zu wollen. Wenn er ein Tor schießt, dann nicht, weil er sich im Strafrum höher als alle anderen geschraubt hat, sondern weil er sich plötzlich in einen Raum geschlichen hat, in dem ihn vorher niemand vermutet hätte.
Das in Räume schleichen ist dabei ein ganz wichtiges Element im Spiel des 28-Jährigen, der bei Norwich City unter Daniel Farke zu dem Spieler wurde, der er heute ist. Unter Farke kam er oft auf dem Papier als Rechtsaußen zum Einsatz, war aber trotzdem der Spielmacher, stand über den taktischen Anweisungen und durfte sich seine Räume selbst suchen. All die Positionen, die er nominell in seiner Karriere schon einmal ausgefüllt hat, bekleidete er unter Farke realtaktisch manchmal sogar innerhalb einer Spiels. Und war dabei immer derjenige, der das Spiel machte.
📸 Stephen Pond - 2019 Getty Images
Damit ist in einer eher unmodernen Weise flexibel. Er kann überall spielen, ist dann aber auch überall der Spielmacher. Die Rolle, die die jeweilige Postion eigentlich erfordern würde, nimmt er dabei eigentlich nie ein.
Das erklärt auch, warum Bayer Leverkusen ihn gerade von Champions-League-Teilnehmer Aston Villa loseisen kann. Dort setzt Trainer Unai Emery stets auf einen ganz streng einzuhaltenden Plan, bei dem vor allem das Spiel gegen den Ball wichtig ist. Laufstärke und taktische Disziplin sind die wichtigsten Kriterien für den Basken, Buendía hat beides nicht.
Dafür bekommt Bayer Leverkusen mit ihm aber gewissermaßen einen Wiedergänger von Santi Cazorla: Klein, zweikampfschwach und langsam, dafür aber technisch brilliant und, egal auf welche Position man ihn schiebt, immer mit der besten Idee auf dem Platz. Auch wenn Buendía mit solchen Eigenschaft vielleicht nicht wirklich flexibel im Sinne des modernen Fußballs ist, reicht ein Blick nach Spanien, um diesen Transfer zu rechtfertigen. Denn dort spielt ein gewisser Santi Cazorla auch mit 40 Jahren bei Real Oviedo immer noch Profifußball. Ganz so unmodern kann so ein flexibler Spielmacher also gar nicht sein.
📸 Carl Recine - 2025 Getty Images