90PLUS
·23. Oktober 2020
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·23. Oktober 2020
Als “Happy One” kehrte “The Special One” im Sommer 2013 zu seinem Herzensverein Chelsea zurück. Doch die zweite Liaison zwischen José Mourinho und den “Blues” endete im Dezember 2015 auf unschöne Weise. Bei seiner zweiten Rückkehr an die Stamford Bridge mit seinem damals neuen Arbeitgeber Manchester United riss der Portugiese seinen Legendenstatus bei Chelsea dann fast völlig ein. Eine persönliche Fehde mit seinem mittelbaren Nachfolger tat sein Übriges dazu. Wir blicken vor dem Duell der beiden Spitzenklubs in der Premier League auf das folgenreiche Viertelfinale im FA Cup am 13. März 2017 zurück – als Mourinho selbst seinen Status ganz simpel in “Judas” umwandelte.
Dieser Artikel erschien auf 90PLUS ursprünglich am 19. Oktober 2018.
Mourinho und Chelsea – diese Beziehung galt über viele Jahre wie in Stein gemeißelt. Daran änderte auch seine Entlassung im Herbst 2007 nichts, stets schwärmte der Trainer von “seinen Jungs”. Umso euphorischer wurde seine Rückkehr im Sommer 2013 bejubelt. In seinem ersten Jahr betrieb Mourinho noch ordentlich Understatement, sprach seiner relativ jungen Mannschaft stets die Klasse für den ganz großen Wurf ab. Zumindest in seiner Prognose lag er richtig, denn zum Titelgewinn reichte es nicht. Allerdings kündigte er für die zweite Saison an, dass seine Mannschaft “jagen” werde – und genau das tat die Truppe um Superstar Eden Hazard.
Jedoch war der Klub nicht in der Rolle des Jägers, sondern in der des Gejagten. Diesen Status behielt Chelsea bis zum letzten Spieltag inne, die Londoner feierten ziemlich souverän den Titelgewinn in der Saison 2014/15. Nur wenige Monate später war an der Stamford Bridge allerdings die Hölle los. Der Titelverteidiger verlor Partie um Partie und steckte im Dezember 2015 in der Tabelle tief in den zweistelligen Plätzen fest. So zog Besitzer Roman Abramowitsch die Reißleine und setzte den Portugiesen zum zweiten Mal vor die Tür. Schon wenige Wochen später pfiffen die Spatzen von den Dächern, dass Mourinho wohl der Nachfolger des damals stark in der Kritik stehenden Louis Van Gaal bei Manchester United werden würde. Nach Ablauf der Spielzeit 2015/16 wurde dies auch so von den “Red Devils” bestätigt.
Die Katastrophen-Spielzeit in London brachte Interimscoach Guus Hiddink einigermaßen souverän über die Bühne, zur Saison 2016/17 verpflichtete der Verein den ehemaligen italienischen Nationaltrainer Antonio Conte. Mourinho rüstete unterdessen bei United ordentlich auf: So kamen unter anderem seine Wunschspieler Paul Pogba , Henrikh Mkhitaryan und sein “Spezi” Zlatan Ibrahimovic. Dass Mourinho wahrscheinlich hauptsächlich als Reaktion auf die Verpflichtung Pep Guardiolas von Manchester City engagiert wurde, war damals schon den meisten Experten bewusst. Im Gegensatz zu Conte und Guardiola kam “The Special One” mit seinem neuen Arbeitgeber nur schwer aus den Startlöchern, realistische Chancen auf den Titelgewinn waren eigentlich schon in der Frühphase des Herbstes verflogen. Zu allem Überfluss bekam Mourinho bei seiner Rückkehr an die Bridge eine ordentliche Abreibung: Gleich vier Treffer schenkte Chelsea seinem ehemaligen Boss ein. Mit seinem italienischen Nachfolger lieferte er sich dann am Ende noch eine peinliche Auseinandersetzung wegen dessen euphorischer Jubelarien. Diese wären bei jenem Spielstand “respektlos” gewesen, der Grundstein für eine folgende Fehde der beiden Übungsleiter wurde gelegt.
Anfang März 2017 lag Chelsea in der Tabelle dank einer in der Premier League so noch nie gesehen Dreier- bzw Fünferkette uneinholbar auf dem ersten Platz, während Mourinho mit dem Rekordmeister um die Champions League-Plätze kämpfte. Es deutete sich aber schon zu diesem Zeitpunkt an, dass United wohl eher auf die Option Europa League setzte, um in der Saison 2017/18 in der Königsklasse vertreten zu sein. In einer dieser zahlreichen englischen Wochen stand das Viertelfinale im FA Cup an: Es kam zu der zweiten Rückkehr Mourinhos in sein “altes Wohnzimmer”, diese Wiederkehr sollte aber noch folgenreicher werden.
Aufstellung: Thibaut Courtois – Cesar Azpilicueta, David Luiz, Cahill – Victor Moses (89. Kurt Zouma), N´Golo Kanté, Nemanja Matic, Marcos Alonso – Willian (81. Cesc Fabregas), Diego Costa (90. Michy Batshuayi), Eden Hazard
Trainer: Antonio Conte
Aufstellung: David De Gea – Antonio Valencia, Phil Jones, Chris Smalling, Marcos Rojo, Matteo Darmian – Ander Herrera, Paul Pogba – Henrikh Mkhitaryan (37. Marouane Fellaini), Marcus Rashford, Ashley Young (81. Jesse Lingard)
Trainer: José Mourinho
Tor: 1:0 Kanté (51.)
Gelb-Rote Karte: Herrera (37.)
Es gibt eine Sache auf der Welt, die Mourinho noch mehr hasst als einfache Niederlagen: Hohe Niederlagen. Eine solche fing er sich wie oben beschrieben an jener Stelle in der Premier League ein. Betrachtete man die Aufstellung der Gäste, dann war der erste Eindruck vor allem davon geprägt, dass man primär eine Wiederholung dieses Szenarios vermeiden wollte. Ein mögliches Weiterkommen im FA Cup schien dagegen fast sogar sekundär. Man muss hier aber auch bedenken, dass wegen den zahlreichen Partien in der Europa League viele Spieler geschont wurden. Dennoch symbolisierte diese gewählte Fünferkette – mit drei nicht unbedingt spielstarken zentralen Verteidigern – wahrscheinlich die Reinform des viel zitierten “Busparkens”.
Sein persönlicher Auftritt war bei weitem nicht so defensiv wie seine Formation. Entgegen seiner sonstigen Eigenart pushte und feuerte Mourinho seine Mannschaft viel leidenschaftlicher an, als sonst – der Grund dafür ist wohl recht einfach zu erahnen. Seine Spieler teilten jedenfalls seine Leidenschaft und mähten freudig über den Rasen der Bridge. Marcos Rojo hätte für ein hartes Einsteigen gegen Eden Hazard gut und gerne früher Duschen gehen dürfen. Die Chelsea-Fans ließen Mourinho derweil auf verbale Weise spüren, wie viel Liebe sie für ihren Ex-Coach und seine an diesem Abend gewählte Vorgehensweise noch übrig hatten. Dieser antwortete mit drei ausgestreckten Fingern – eine kleine Erinnerung an den Anhang, wie viele Meisterschaften der Verein unter ihm gewonnen hatte.
Die Stimmung zwischen Mourinho und Conte kochte ebenfalls über. Ander Herrera fing sich schon vor dem Halbzeit-Pfiff seine zweite gelbe Karte ein, natürlich zu großem Unverständnis seines Chefs. Eine lautstarke Auseinandersetzung der Trainer folgte, welche ihren Ursprung schon wenige Minuten zuvor genommen hatte, als Mourinho einen Ball für den Geschmack seines mittelbaren Nachfolgers etwas zu nah in dessen Nähe schoss. Die beiden Streithähne gestikulierten und brüllten wild, der vierte Offizielle musste eingreifen. In Unterzahl stellte der Portugiese seine Marschroute dann von defensiv auf ultra-defensiv um. United igelte sich am eigenen Strafraum ein und überließ Chelsea komplett das Spielgeschehen.
Die Statistiken untermauern diese überaus krasse Form der Passivität: Bei dem Schlusspfiff hatten die Gastgeber wahnsinnige 73% Ballbesitz vorzuweisen. Ähnlich deutlich war das Torschuss-Verhältnis von 20-4. Ins Tor trafen die “Blues” trotz bahnbrechender Überlegenheit indes nur einmal. N´Golo Kanté, welcher über den gesamten Abend mit Paul Pogba machte, was er wollte und auch so der beste Spieler auf dem Platz war, traf kurz nach der Halbzeit mit einem schönen Flachschuss aus der Distanz. “Immerhin” entschied United die Foul-Statistik mit 14-7 souverän für sich. Dass die Partie nur 1:0 ausging, lag größtenteils an Gäste-Schlussmann David De Gea.
Bei der anschließenden Presse-Konferenz ließ Mourinho dann weiterhin seinen “Charme” spielen. Angesprochen auf die Schmähgesänge machte er noch einmal deutlich, dass er immer noch der erfolgreichste Chelsea-Trainer aller Zeiten sei: “Judas ist immer noch die Nummer 1.”
Wenige Wochen später behielt United im Old Trafford mit einem 2:0 Sieg die Oberhand, der einstige “Special One” schritt nach Abpfiff symbolträchtig auf sein neues Logo klopfend in den Tunnel. In der Liga sollte jedoch kein Team mehr an seine Ex-Mannschaft herankommen. Auch im FA Cup stand diese kurz vor dem großen Wurf: Chelsea scheiterte erst im Finale an Arsenal, fast hätte Conte somit in seinem Debütjahr das “Double” gefeiert. Doch auch Mourinho hatte etwas feiern: United holte unter ihm zum ersten Mal in der Vereinsgeschichte die Europa League und gehört seitdem in den erlesenen Kreis weniger Vereine, welche alle drei großen europäischen Titel gewonnen haben – in dieser Ansammlung ist übrigens auch Chelsea zu finden. In der folgenden Spielzeit drehten sich dann die Vorzeichen.
Die “Red Devils” setzten sich mit dem Stadtrivalen Manchester City in der Premier League weit ab, während der Titelverteidiger aus London große Probleme im Liga-Alltag hatte. Daran war auch ein völlig missglücktes Transferfenster des Meisters vor der Saison 2017/18 Schuld. Im Frühjahr verabschiedete sich Chelsea dann sogar aus dem Rennen um die Top 4. Ein Abgang von Conte, allerdings nicht aus sportlichen Gründen, zum Ende der Saison zeichnete sich früh ab. Mourinho verspielte indes durch ein peinliches Aus in der Champions League gegen den FC Sevilla viel Kredit bei den eigenen Anhängern und setzte eigentlich genau dadurch eine negative Stimmung in Gang, welche mehr oder weniger bis zum heutigen Tag anhält.
Im Winter lieferten sich die beiden Übungsleiter zudem eine der hässlichsten medialen Auseinandersetzungen in der Premier League-Geschichte. Frühere Fehden zwischen Sir Alex Ferguson und Arsene Wenger oder Rafa Benitez kamen einem dagegen wie Kindergeburtstage vor. Es fielen besonders niederträchtige Anschuldigungen unter der Verwendung von Wörtern wie “Demenz“, “Verachtung“, “kleiner Mann” oder “Spielverschieber“. So viel wie auf den Pressekonferenzen hatte die beiden Klubs tabellarisch nicht mehr miteinander zu tun.
United wurde am Ende mit weitem Abstand – nach vorne wie nach hinten – Vizemeister, während der Titelverteidiger auf äußerst blamable Weise die Königsklasse verpasste. Ein letztes Mal kreuzten sich die Klingen der beiden Coaches im FA Cup Finale 2017/18 in Wembley Stadium, als die “Blues” in einem wirklich schwachen Endspiel etwas unverdient mit 1:0 die Oberhand behielten. Dies war auch zeitgleich die Abschiedsvorstellung Contes, der Verein löste den Vertrag nur ein Jahr nach dem Gewinn der Meisterschaft auf. Glaubt man den Medien, so stand auch Mourinho in der aktuellen Saison schon mehrmals kurz vor der Arbeitslosigkeit. Noch hält seine mittlerweile von vielen Nebenkriegsschauplätzen geprägte Amtszeit in Manchester an.
Mit dem feurigen, aber auch zeitgleich charmanten Mourinho von einst hat sein heutiges Auftreten nur noch wenig gemeinsam. Dieses Bild könnte unabhängig vom weiteren Verlauf seiner United-Karriere seine prägende Hinterlassenschaft in der englischen Liga sein. Daher wirkt es fast schon tragisch, dass er am besagten 13. März 2017 in gewisser Weise gegen sein eigenes Denkmal gepinkelt hat.