MillernTon
·5. Februar 2025
MillernTon
·5. Februar 2025
Recherchen des FC St. Pauli-Museums zeigen, dass der Komponist und insbesondere der Texter des Liedes eine schwierige Vergangenheit haben.(Titelfoto: Stefan Groenveld)
„Das Herz von St. Pauli, das ist meine Heimat – In Hamburg, da bin ich zuhaus“ – diese Textzeilen dürften nahezu allen Anhänger*innen des FC St. Pauli geläufig sein. Denn das Lied „Das Herz von St. Pauli“, in der Version von Phantastix & Elf, läuft vor jedem Heimspiel am Millerntor, wird laut im Chor mitgesungen und kann getrost als inoffizielle Vereinshymne bezeichnet werden.
Aber woher stammt dieses Lied eigentlich? Celina Albertz hat sich im Rahmen des Podcasts „FCSP-Geschichte(n)“ auf die Suche begeben und mehrere Wochen lang zur Entstehung des Liedes recherchiert. Problematisch ist dabei weniger das Lied an sich, sondern die Biographie jener Personen, aus deren Federn es stammt. Wir haben mit ihr darüber gesprochen.
Celina, das Lied „Das Herz von St. Pauli kennen vermutlich alle, die es mit dem FC St. Pauli halten. Wann wurde es erstmals veröffentlicht und wer hat es gesungen?Die erste Aufnahme, auf die ich bei meinen Recherchen gestoßen bin, wurde am 26. November 1956 in der Friedrich-Ebert-Halle in Harburg gemacht. Die Sängerin heißt Liselotte Malkowsky. Durch sie war der Song in Hamburg bereits vor Erscheinen des gleichnamigen Films mit Hans Albers im Dezember 1957 bekannt.
Die Biographie von Hans Albers ist alles andere als unproblematisch, oder?Hans Albers’ Beziehung zum NS-Staat wird bis heute kontrovers diskutiert. Einerseits distanzierte er sich vom Regime, andererseits wirkte er in NS-Propagandafilmen mit und trug somit zur Aufrechterhaltung des Systems bei. Außerdem trennte er sich auf Druck der Nationalsozialisten von seiner langjährigen Partnerin, der Jüdin Hansi Burg. Als sie 1939 ins Ausland fliehen musste, blieb er in Deutschland und drehte weiterhin Filme. Noch 1944 wurde er auf Goebbels’ „Gottbegnadeten-Liste“ geführt.
Im Podcast „FCSP-Geschichte(n)“ hast du dargestellt, dass Hans Albers das Lied nicht selbst komponiert hat. Wer war es dann?Der Komponist des Liedes heißt Michael Jary, gebürtig Maximilian Michael Andreas Jarczyk. Er wurde 1906 in Laurahütte bei Katowice (heute Siemianowice Śląskie, Polen) geboren. Jary war ein erfolgreicher deutscher Film- und Schlagerkomponist der späten 1930er- und 1940er-Jahre sowie der Nachkriegszeit.
Du hast dich intensiv mit den Tätigkeiten von Michael Jary während der NS-Zeit befasst. Was hat er damals gemacht?Kurz nach der Machtübernahme der NSDAP gab es wohl einen Vorfall, bei dem er aufgrund seines vermeintlich polnischen Namens von Mitgliedern des „Kampfbundes für deutsche Kultur“ ausgebuht und beleidigt wurde. Danach machte er jedoch unter dem Künstlernamen Michael Jary Karriere. Er verdiente gut, arbeitete unter anderem für die ufa und komponierte Hits für Stars wie Heinz Rühmann und Zarah Leander. Auch sein Name findet sich auf Goebbels’ „Gottbegnadeten-Liste“.
Kommen wir zu Josef Ollig, der den Text des Liedes „Das Herz von St. Pauli“ geschrieben hat. Wie ist seine Biographie?Josef Ollig wurde 1906 in Eil bei Köln geboren. Er war Journalist und arbeitete ab 1929 für die „Hamburger Nachrichten“. Das nationalkonservative Blatt stand zu dieser Zeit bereits der nationalsozialistischen Ideologie nahe und unterstützte relativ offen die NSDAP. Schon 1932 war auf der Titelseite von „germanischen Edelmenschen“ und „polnischen Untermenschen“ die Rede.
Irgendwann im Laufe des Jahres 1933 wechselte Ollig zur Pressestelle von Shell, wo er als „Propagandaleiter“ unter anderem für die Hauszeitschrift „Shell-Post“ verantwortlich war. Im Januar 1940 wurde er zur Luftwaffe eingezogen und nahm als Soldat am deutschen Überfall auf die Sowjetunion teil. 1941 wurde er Wortberichter bei den Propagandakompanien. Seine Kriegsberichte und Fotos erschienen zwischen 1941 und 1945 in verschiedenen kleineren und größeren Tageszeitungen, aber auch in NS-Publikationen wie dem „Völkischen Beobachter“.
Während des grausamen Vernichtungskriegs gegen die Sowjetunion, der Millionen Zivilist*innen und sowjetische Kriegsgefangene das Leben kostete, zeichnete Josef Ollig für die „Heimatfront“ das Bild des tapferen, ehrbaren und ewig siegreichen deutschen Soldaten.
Was haben Jary und Ollig nach der NS-Zeit gemacht?Beide setzten ihre Karrieren relativ unmittelbar und erfolgreich fort. Michael Jary gründete 1948 seinen eigenen Verlag, die Michael-Jary-Produktion. 1949 zog er nach Hamburg, wo er an zahlreichen weiteren erfolgreichen Filmen und Schlagern mitwirkte.
Josef Ollig ergatterte bereits 1946 eine Stelle als Ressortleiter bei der britischen Zonenzeitung „Die Welt“. In den 1950er-Jahren wechselte er zum „Hamburger Abendblatt“, wo er später unter anderem für die „Hamburg-Buch-Reihe“ und die „Hamburgensien-Mappen“ des Abendblatts verantwortlich war. Nebenbei schrieb er Liedtexte – besonders gern für lokalpatriotische Seemannsschlager wie „Das Herz von St. Pauli“.
Du hast dich bei Deiner Tätigkeit für das Museum sicher bereits häufiger mit ähnlichen Biographien auseinandergesetzt. Sind Werk und Autor*innen in solchen Fällen voneinander trennbar?Auf diese Frage gibt es meiner Meinung nach keine einfache Antwort. Diese moralische Entscheidung muss jede*r individuell für sich selbst treffen. In diesem Fall müssen wir sicherlich auch als Fanszene darüber diskutieren, ob „Das Herz von St. Pauli“ wirklich zu unserem Verein und seinen Werten passt. Für mich persönlich kann ich sagen: Natürlich hat das Wissen über den Autor meine Wahrnehmung des Werkes negativ beeinflusst. Ich fühle mich nicht mehr wohl dabei, das Lied im Stadion mitzusingen, und werde es in Zukunft wohl auch nicht mehr tun. Egal, ob Josef Ollig die nationalsozialistische Ideologie vollständig geteilt hat oder nicht – er war als Kriegsberichter Teil der NS-Propaganda. Er war Vorschubleister und Stütze des Systems. Und: Er hat bereits vor 1933 für eine Zeitung gearbeitet, die rechtsextreme Positionen vertreten hat. Das lässt sich am Ende nicht wegdiskutieren.
Celina, vielen Dank für Deine ausführlichen Antworten und Deine wichtige Recherche zur Entstehung des Liedes „Das Herz von St. Pauli“.Er ist zwar bereits weiter oben verlinkt, aber der Podcast „FCSP-Geschichte(n)“ ist sehr zu empfehlen, nicht nur die aktuelle Folge mit dem Thema FC St. Pauli und der Hafen.
Wie geht man nun damit um? Gehört „Das Herz von St. Pauli“ ab sofort auf den Index und sollte bei Heimspielen des FC St. Pauli nicht mehr gespielt werden? Das ist die Frage, mit der sich jetzt der Verein und seine Fanszene befassen müssen. Der FC St. Pauli erklärt auf Anfrage zu der Thematik: „Der FC St. Pauli möchte sich kritisch mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen und wird dementsprechend auch die Geschichte der Entstehung des Liedes „Das Herz von St. Pauli“ genau prüfen und diskutieren.“
Diese Thematik möchte der Verein nicht nur vereins-intern bearbeiten, sondern „auch den Austausch mit unseren Fans suchen und gemeinsam diskutieren, wie wir mit dieser Geschichte und dem Lied umgehen.“ Um „ein Stimmungsbild sowie verschiedene Meinungen und Perspektiven einzuholen“, plant der FC St. Pauli auch einen Blog-Beitrag zu dem Thema.
Die Recherchen des FC St. Pauli-Museums haben aufgezeigt, dass „Das Herz von St. Pauli“ von Personen verfasst und präsentiert wurde, deren Biographien problematisch sind. Es dürfte kein Weg daran vorbeiführen, dass man sich beim FCSP (was auch Fans und Mitglieder einschließt) nun intensiv mit diesem Thema auseinandersetzt. Denn ohne dieses Thema diskutiert und gemeinsam eine Entscheidung zum Umgang damit getroffen zu haben, dürfte es bei vielen für massive Bauchschmerzen sorgen, wenn „Das Herz von St. Pauli“ das nächste Mal am Millerntor laufen sollte.
// Tim
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