90PLUS
·30 January 2025
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·30 January 2025
Was ein absoluter Festabend hätte werden können, endete aus Stuttgarter Sicht in einer bitterbosen Enttäuschung. Und doch gehen die Schwaben als ein klarer Gewinner der Ligaphase hervor. Der VfB ist wieder jemand in Europa!
Einen patzigen Kommentar konnte sich VfB-Trainer Sebastian Hoeneß nach der gestrigen 1:4-Heimniederlage gegen Paris Saint-Germain nicht verkneifen. „Jemand hat mir mal erzählt: Mit zehn Punkten kommst du zu 99 Prozent weiter“, fr0tzelte der 42-Jährige nach dem feststehenden Ausscheiden am DAZN-Mikrofon: „Aber die KI ist wohl doch nicht so toll, wie alle erzählen.“
Hoeneß dürfte mit dieser Aussage den Nerv vieler VfB-Fans getroffen haben, die ihre Mannschaft nach dem Auswärtserfolg bei Slovan Bratislava in der vergangenen Woche schon sicher in den Playoffs wähnten. Theoretisch hätten sich die Schwaben mit PSG auf ein Unentschieden „einigen“ können – beiden Teams hätte ein Punkt zum sicheren Weiterkommen gereicht.
Doch „die Schande von Cannstatt“ blieb aus, der deutsche Vizemeister holte sich letztlich eine deftige Klatsche ab und war dabei vor allem in der ersten Halbzeit chancenlos. „Wir haben gesehen, was die Weltspitze ist. Das muss man neidlos anerkennen, es war teilweise herausragend, was auf der anderen Seite gespielt wurde“, gab auch Hoeneß im Anschluss an die Partie zu. Der französische Serienmeister machte das, was der VfB seit anderthalb Jahren in höchster Regelmäßigkeit mit seiner Bundesliga-Konkurrenz macht: Er spielte sie her.
Das sah auch Sportvorstand Fabian Wohlgemuth so: „Man muss neidlos die Qualität von Paris anerkennen. Wir waren in der ersten Halbzeit ein Stück weit überfordert. Die Pariser haben uns an unsere Grenzen geführt. Wir waren zu passiv, auch schockiert.“ Letztlich war die Höhe der Niederlage für den Tabellenstand sogar irrelevant, da Manchester City und Dinamo Zagreb das eigene Spiel jeweils gewinnen konnten. Der VfB schließt die Ligaphase damit als 26. ab und hat einen Zähler Rückstand auf den begehrten letzten Playoff-Platz.
Und dennoch müssen sich die Schwaben für den Ausgang dieser Champions-League-Saison alles andere als Schämen! Respektable drei von acht Spielen wurden gewonnen, drei der vier Niederlagen resultieren aus den Duellen gegen Real Madrid, Atalanta und PSG – also gegen das absolute who is who des europäischen Fußballs.
Insbesondere gegen den Titelverteidiger aus der spanischen Hauptstadt lieferte der VfB einen der beeindruckendste Außenseiter-Auftritte dieser Spielzeit und war über weitere Strecken die tonangebende Mannschaft. Haften bleiben wird darüber hinaus der historische Auswärtssieg beim italienischen Rekordmeister Juventus. Auch hier war die Hoeneß-Elf klar besser. Gegen den sportlichen Hochadel dieses Kontinents ließen sich Stiller, Undav und Co. nicht von ihrer ballbesitzlastigen Spielidee abbringen und gingen jene Partien ebenso selbstbewusst an wie ein Bundesliga-Heimspiel gegen Holstein Kiel. Das verdient gebührenden Respekt.
Einen Respekt. der den Stuttgartern auch von den Gegnern und der internationalen Presse entgegengebracht wurde. Tuttosport schrieb nach dem Sieg in Turin von „einem starken VfB, der mehr Tempo und Dribblings hatte“ als sein italienischer Kontrahent. Auch Carlo Ancelotti stellte nach dem Zittersieg seiner Königlichen ebenfalls klar: „Sie verdienen es, hier zu sein.“
Dieser Aussage des fünffachen Champions-League-Siegers ist nichts hinzuzufügen. Nach 15-jähriger Königsklassen-Abstinenz hinterließen die Schwaben eine beachtliche Duftmarke in der europäischen Beletage und bescherten ihren Anhängern darüber hinaus acht magische Nächte, die kein Stuttgarter so schnell vergessen dürfte. Das vor allem gegen Belgrad und Paris gezahlte Lehrgeld gehört zu den üblichen Wachstumsschmerzen einer jungen, sich in einem rasanten Aufschwung befindlichen Mannschaft.
Und so lässt auch Hoeneß kein einziges schlechtes Wort an seinen Spielern. „Wir können erhobenen Hauptes aus dem Wettbewerb rausgehen“, stellte das heiß begehrte Trainer-Talent klar: „Wir werden diese Erfahrung mitnehmen, uns entwickeln und versuchen, eine gute Reaktion zu zeigen. Daran glaube ich fest. Wir haben noch richtig was vor.“ Sein Team habe den Verein „in einer guten Art und Weise repräsentiert.“
Das gilt erneut auch für die Bundesliga, in welcher die Cannstatter aktuell auf einem starken vierten Platz liegen. Eine erneute Champions-League-Qualifikation ist also in realistischer Reichweite. „Wir wollen in der Liga so viel Gas geben wie möglich, um hoffentlich noch weitere solche Reisen zu erleben“, betonte Linksverteidiger Maximilian Mittelstädt später. Das Augenmerk des Vizemeistes richtet sich nach der ersten herben Enttäuschung also direkt wieder nach vorne.
(Photo by Alex Grimm/Getty Images)
Angesichts des bevorstehenden Programms scheint diese Sichtweise alternativlos. Schon am Samstag trifft der VfB vor heimischem Publikum auf Borussia Mönchengladbach, ehe es es nur drei Tage später im DFB-Pokalviertelfinale gegen den FC Augsburg geht. Die Schwaben tanzen weiterhin weiterhin auf zwei Hochzeiten und benötigen dafür den vollen Fokus. „Die Spieler haben jetzt eine Nacht, um das zu verarbeiten, und dann muss der Blick in Richtung Gladbach und DFB-Pokal gehen“, analysierte auch Wohlgemuth: „Das muss schnell gehen. Aber das kriegen die Jungs hin.“
Kriegen die Jungs das hin, dann ist ein Comeback des VfB Stuttgart auf internationaler Bühne tatsächlich nur eine Frage der Zeit. Der erste Teil des lang ersehnten Europa-Comebacks hat nämlich gesessen – auch wenn die abschließende Krönung ausgeblieben ist.
(Photo by Alex Grimm/Getty Images)