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Simon Schmidt·23 March 2025

Unerklärliche Höhenflüge: Eine Flanke stellt Deutschland auf den Kopf

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14. Juni 2006: Es läuft die 91. Spielminute im zweiten Vorrundenspiel der Fußball-Weltmeisterschaft zwischen Polen und Gastgeber Deutschland. Die DFB-Elf drückt auf die Führung, doch kann das polnische Bollwerk nicht bezwingen. Trotz haushoher Überlegenheit in der zweiten Halbzeit und 11:0-Torschüssen seit der 60. Minute steht es weiterhin 0:0. Aber Deutschland gibt nicht auf, rennt weiter bedingungslos an. Ein letztes Aufbäumen in der Nachspielzeit, um den 4:2-Auftaktsieg gegen Costa Rica zu vergolden.

Bernd "Schnix" Schneider bekommt auf der rechten Seite den Ball und schickt den in die Tiefe startenden David Odonkor. Und der Rest: Ist deutsche Fußball-Geschichte.


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📸 OLIVER LANG - 2006 AFP

Odonkor flankt den Ball perfekt in die Mitte und Oliver Neuville grätscht das Leder aus kurzer Distanz in das Tor. Im Dortmunder Signal-Iduna-Park herrscht Ekstase und das deutsche Sommermärchen nimmt so richtig Fahrt auf. Die `Frankfurt Allgemeine´ titelt "Nach Siegtor in der Nachspielzeit steht Fußball-Deutschland Kopf", der `Spiegel´ adelt Odonkor und Neuville mit der Überschrift "Klinsmanns Joker stechen in letzter Minute". Es ist vor allem der Moment in der Karriere des David Odonkor, der sich mit einer Flanke den Legendenstatus verdiente.

Ein Monat vor dem legendären Abend von Dortmund war für den damals 22-Jährigen ein Spiel im Trikot der Nationalmannschaft nicht mehr als Träumerei. Odonkor feierte in einer Reservistenrolle als Teenager mit Borussia Dortmund 2002 die deutsche Meisterschaft und war von dort an auch fester Bestandteil des Profikaders. Am 1. Mai 2004 gelang ihm gegen Rostock sein erstes Bundesliga und wurde in der Folge Stammspieler. Die Saison 2005/06 war die beste seiner Karriere. In Zahlen bedeutet das: Ein Tor und fünf Assists in 33 Spielen. Für einen Flügelstürmer ziemlich mager.

Aber Odonkor hatte etwas, auf das Nationaltrainer Jürgen Klinsmann nach dem Ausfall von Sebastian Deisler auf keinen Fall verzichten wollte. "Er kann uns auf dieser Position weiterhelfen", sagte Klinsi ganz pragmatisch. Michael Ballack wurde da schon deutlich präziser. "Er kann aber eine Geheimwaffe sein, weil er eine enorme Schnelligkeit hat", kannte der Capitano schon im Vorfeld die Qualitäten seines Mitspielers, wie er dem `Tagesspiegel´ erzählte.

Es wusste niemand etwas von der Odonkor-Nominierung. Nicht der Kapitän, nicht Präsident Dr. Theo Zwanziger, nicht die Medienabteilung des DFB und auch nicht Odonkor selbst. Im Gegenteil: Der Flügelflitzer wollte mit zur U21-EM und bekam dann eine Absage von U21-Coach Horst Hrubesch, der beim Telefonat seinen Spaß mit Odonkor hatte. Am Morgen des 15. Mai 2006 rief Hrubesch an, Odonkor war gerade dabei, sich einen Kaffee zu machen. "Er sagte dann, dass ich bei der U21-EM nicht dabei bin. Ich war sprachlos und enttäuscht. Da meinte er, dass ich bei der Heim-WM in Deutschland dabei bin. Der Jürgen Klinsmann würde mich gleich anrufen. Ich fragte mich, ob er mich verarschen will?! Und Jürgen rief mich tatsächlich an“, verrät der heute 41-Jährige im Interview mit `transfermarkt.de´.

Odonkors Reise auf der großen Fußballbühne begann am 30. Mai 2006. Der Sohn einer deutschen Mutter und eines ghanaischen Vaters feierte im WM-Vorbereitungsspiel gegen Japan sein Debüt für die DFB-Elf. Knapp zwei Wochen später sollte die Reise und auch die Karriere des sympathischen Ostwestfalen schon den beschriebenen Höhepunkt erreicht haben. Ein unwiderstehlicher Sprint auf der rechten Seite, eine punktgenaue Flanke in die Mitte und ein Tor, das anschließend Legendenstatus erreicht hat. "Das war der größte Moment meiner Karriere", sollte Odonkor später dem `Spiegel´ sagen.

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📸 OLIVER LANG - 2010 AFP

Im weiteren Turnierverlauf kam Odonkor nur im Viertel- und Halbfinale nochmal zum Einsatz. Inklusive der EM 2008, wo er auch sein letztes Länderspiel bestritt, gehörte Rechtsfuß zum Kreise der deutschen Nationalmannschaft. Insgesamt gelangen ihm in seiner DFB-Karriere ein Tor und drei Vorlagen. Auf Vereinsebene zog es den Rising Star nach der WM 2006 ins Ausland zu Betis Sevilla.

Doch Odonkor war immer wieder vom Verletzungspech verfolgt und musste im Alter von nur 29 Jahren seine Karriere beenden. "Die Gesundheit geht vor. Ich möchte meine Tochter später nicht am Stock oder humpelnd von der Schule abholen", erklärte Odonkor nach Karriere der `SZ´. "Die vielen Verletzungen haben mich weit, weit zurückgeworfen, aber daran denke ich gar nicht. Ich habe die Zeit genossen, genieße sie jetzt und sehe alles positiv", wird er vom `Spiegel´ zitiert. Positive Energie, die er schon damals in die Nationalelf und auf die Tribünen der Stadien brachte.

David Odonkor kam wie ein Phönix aus der Asche, beschleunigte im doppelten Sinne auf dem deutschen Seitenstreifen von 0 auf 100 und flankte sich in die Geschichte des deutschen Sommermärchens. Jeder, der an die Fußball-WM 2006 in Deutschland zurückdenkt, hat die 91. Minute von Dortmund sofort parat. Garantiert.


📸 Jamie McDonald - 2006 Getty Images