MillernTon
·11 March 2025
Wird der FC St. Pauli durch Schiedsrichter-Entscheidungen benachteiligt?

MillernTon
·11 March 2025
Zuletzt gab es einige strittige Schiedsrichter-Entscheidungen bei den Spielen des FC St. Pauli. Zeit der steilen These nachzugehen, ob der FCSP von Schiedsrichtern benachteiligt wird.(Titelfoto: Stefan Groenveld)
„Wenn wir 1:0 führen, dann nehmen wir immer was mit. Heute hatte der Schiedsrichter etwas dagegen.“ – Die Worte, die Alexander Blessin nach dem 1:1 des FC St. Pauli beim VfL Wolfsburg sprach, können gar nicht falsch verstanden werden. Für den Cheftrainer des FCSP war der Elfmeter-Pfiff gegen den FC St. Pauli in der 69. Minute eine Fehlentscheidung. Viele (aber sicher auch nicht alle) dürften sich dieser Meinung anschließen. Es ist bereits das zweite Spiel in Folge, in dem sich der FCSP aufgrund von Schiedsrichter-Entscheidungen benachteiligt sieht. Gegen Borussia Dortmund sorgte ein nicht gegebener Strafstoß für den FC St. Pauli für Diskussionen.
Das waren zwei Spiele, die bei einer anderen Entscheidung des jeweiligen Schiedsrichters höchstwahrscheinlich ein positiveres Ergebnis für den FCSP gebracht hätten. Es braucht keine großen Rechenkünste, um festzustellen, welch große Wichtigkeit diesen Entscheidungen zukommt, besonders, da in Spielen mit Beteiligung des FC St. Pauli selten Tore fallen.Es ist auf jeden Fall so, dass man sich beim FC St. Pauli nicht zum ersten Mal in dieser Saison an Schiedsrichter-Entscheidungen stört. Daher wollen wir das mal etwas genauer beleuchten und der Frage „Wird der FC St. Pauli durch Schiedsrichter-Entscheidungen benachteiligt?“ nachgehen.
Wichtig ist bei diesem Text: Das ist auf gar keinen Fall als Vorwurf gegenüber dem Schiedsrichterwesen zu verstehen. Davon auszugehen, dass Spielleiter bewusst ein Team benachteiligen, wäre unfair und falsch. Das bedeutet aber natürlich nicht, dass ein Club nicht besonders großes Pech mit Schiedsrichter-Entscheidungen haben kann.Bevor wir uns mit wissenschaftlichen Erhebungen zu dem Thema befassen, schauen wir uns erstmal einige kritische Situationen bei Ligaspielen des FC St. Pauli in dieser Saison an:
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FC Augsburg vs. FC St. PauliVor dem 1:0 des FCA flog eine Flanke in den Strafraum des FC St. Pauli. Augsburgs Essende bekam den Ball aus kurzer Distanz an die Hand und rasselte dann in Karol Mets hinein, der liegen blieb und in den weiteren Angriff der Augsburger nicht mehr eingreifen konnte. In der Folge erzielte Wolf das 1:0. Nach Rücksprache mit dem VAR entschied Schiedsrichter Zwayer, dass der Treffer zählt. Eine diskutable Entscheidung.
SC Freiburg vs. FC St. PauliKurz vor der Halbzeitpause hielt Karol Mets Gegenspieler Ginter am Oberkörper fest. Schiedsrichter Gerach entschied sich zunächst dafür weiterlaufen zu lassen. Der Ball schien ohnehin nur schwer für Ginter erreichbar. Eine klare Fehlentscheidung war das sicher nicht. Doch der VAR schritt ein, Gerach sah sich die Szene noch einmal an und entschied auf Elfmeter für Freiburg. Diesen parierte Nikola Vasilj dann aber. Zwei weitere sehr knappe Abseitsentscheidungen verhinderten jeweils Anschlusstreffer des SCF.
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Borussia Dortmund vs. FC St. PauliFür richtig viele Diskussionen sorgte das vermeintliche Abseits-Tor von Morgan Guilavogui in Dortmund. So sehr, dass wir damals dem ganzen Prozedere einen eigenen Artikel gewidmet haben: Kurzform: Schafft den Quatsch ab!
Sowieso war in diesem Spiel viel drin, Schiedsrichter Jöllenbeck hatte einige schwierige Entscheidungen zu treffen. So stand beim Schuss von Eric Smith, der zum zwischenzeitlichen Ausgleich führte, Dapo Afolayan klar im Abseits, aber auch im Blickfeld von BVB-Keeper Kobel? Eine mindestens strittige Entscheidung. Viel zu wenig Aufregung gab es nach Ansicht vieler um die Situation zwischen Bensebaini und Scott Banks im BVB-Strafraum in der Nachspielzeit.
FC St. Pauli vs. FC Bayern MünchenMin-jae Kim stieg in der zweiten Halbzeit heftig gegen Guilavogui ein. Blessin und Saliakas, beide wurden dafür verwarnt, forderten vehement mehr als die Gelbe Karte, die der FCB-Innenverteidiger dafür sah. Rund zehn Minuten vor dem Ende foulte Kim erneut (allerdings wesentlich weniger hart), sah aber nicht die Gelb-Rote Karte, was sicher etwas (zu) hart gewesen wäre, über den sich Kim aber auch nicht hätte beschweren dürfen.
Borussia Mönchengladbach vs. FC St. PauliKurz nach Wiederanpfiff wurde Morgan Guilavogui in ein Laufduell mit Gladbachs Friedrich geschickt. Der Innenverteidger setzte zur Grätsche an, traf ganz knapp zuerst den Ball und viel Körper und das beides innerhalb des Strafraums. Da Friedrich gerade noch so den Ball berührte, reichte das aber nicht für einen Elfmeter.
Nach einem Foul von Min-Jae Kim verlangt Manos Saliakas den Videobeweis beim Schiedsrichter. // (c) Stefan Groenveld
FC St. Pauli vs. Holstein KielIn der 36. Minute wurde Hauke Wahl im Kieler Strafraum klar am Fuß von Gegenspieler Geschwill getroffen. Völlig unverständlich, dass es in dieser Situation keinen Elfmeter für den FC St. Pauli gab. Das Spiel gewann der FC St. Pauli am Ende, allerdings stand es zum Zeitpunkt des Fouls an Wahl nur 1:0 für den FCSP und Vasilj hielt in der zweiten Halbzeit noch einen Elfmeter. Die Konsequenz dieser Entscheidung hätte also brutal sein können.
Bayer Leverkusen vs. FC St. PauliIn der 33. Minute kam Tapsoba im FCSP-Strafraum nach einem Duell mit David Nemeth zu Fall. Die Zeitlupe zeigt ziemlich deutlich, dass Nemeth nur den Gegenspieler und keinesfalls den Ball traf. Einzige Erklärung, warum es keinen Elfmeter für Leverkusen gab: Tapsoba suchte aktiv den Kontakt. Über einen Elfmeter hätte man sich beim FCSP in dieser Szene aber keineswegs beschweren dürfen.
VfB Stuttgart vs. FC St. PauliIn der 51. Minute ging Stuttgarts Chase an der Strafraumgrenze klar zu rabiat gegen Afolayan zu Werke. Das Foul ist völlig unstrittig, die Frage ist aber, ob es vor oder im Strafraum stattfand. Felix Brych entschied sich für einen Elfmeter und wurde vom VAR nicht überstimmt. Die TV-Bilder zeigen zumindest, dass das Foul vor der Strafraumgrenze begann, wann es endete wurde aber nicht genau aufgelöst, Tendenz eher vor dem Strafraum. Eggestein verschoss den Elfmeter, der FC St. Pauli gewann trotzdem.
RaBa Leipzig vs. FC St. PauliNach einem starken Ballgewinn ging Elias Saad ins Laufduell mit Willi Orban, der die Sense auspackte und Saad durchaus heftig umgrätschte. Schiedsrichter Badstübner entschied, dass es sich dabei um eine Notbremse handelte und stellte Orban vom Platz. Strittig ist, ob Orban den Ball bei der Grätsche berührte (nicht genau aufzulösen in der Zeitlupe) und ob Seiwald noch hätte eingreifen können (dann wäre es keine Notbremse). Auch wenn sich die Leipziger über diese Szene aufregen, so geht die Entscheidung in Ordnung.
FC St. Pauli vs. Borussia DortmundZwar passierte die Aktion fernab des Balles, doch das Foul von Bensebaini an Weißhaupt im BVB-Strafraum ist eigentlich völlig unstrittig (sollte man meinen, aber hier wird das durchaus kontrovers diskutiert). Doch nicht nur diese Situation sorgte für Diskussion, auch direkt vor dem 0:1 wurde ein Foul an Nemeth moniert. Brachte alles nix, der FC St. Pauli bekam keinen Elfmeter und fing sich stattdessen das 0:1.
VfL Wolfsburg vs. FC St. PauliNach einem leichten, aber sichtbaren Halten von Van der Heyden ging Kaminski im FCSP-Strafraum zu Boden. Den Ball hätte er zwar nicht mehr erreicht, den Elfmeter bekam er aber trotzdem zugesprochen. Eine harte Entscheidung, die aber auch vom VAR eher nicht einkassiert werden kann, sofern das Nicht-Erreichen des Balles keine Rolle bei der Bewertung spielt. Deutlicher war da schon das Handspiel von Philipp Treu kurz vor Spielende, für das es aber keinen Elfmeter gab.
Es hat also bereits einige kritische Entscheidungen in dieser Saison gegeben. Weit nicht alle wurden gegen den FC St. Pauli getroffen. Den Eindruck einer expliziten strukturellen Benachteiligung des FCSP erweckt diese Auflistung zwar nicht. Allerdings wurde in den beschriebenen Situationen mehrheitlich gegen den FCSP entschieden. Das verwundert aber nicht, wenn man sich dem Thema wissenschaftlich nähert. Denn es gibt Studien, die belegen, dass kleinere Clubs bei Schiedsrichter-Entscheidungen benachteiligt werden.
Andreas Bornemann, Sportchef des FC St. Pauli, diskutiert mit dem Schiedsrichter-Gespann über Entscheidungen beim Spiel gegen Borussia Dortmund. // (c) Stefan Groenveld
Ja, es geht hier um den berühmten „Bayern-Bonus“, auf den Alexander Blessin nach dem Spiel gegen den FCB auch zu sprechen kam und in Bezug auf das Foul des Gelb-vorbelasteten Kim sagte: „Ich bin mir sicher, dass wir Gelb-Rot dafür bekommen hätten.“ Die Statistik erhärtet diesen Verdacht. Denn eine Studie der Frankfurt School of Finance and Management erklärte 2016, dass der FC Bayern München klar bevorteilt wird. Spielt der FCB gegen einen Club, der keinen Spitzenplatz in der ewigen Bundesligatabelle einnimmt, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass dem kleineren Club ein Elfmeter fälschlicherweise nicht gegeben wird, dreimal so hoch wie im statistischen Mittel. Doch es gibt nicht nur einen „Bayern-Bonus“, sondern allgemein einen „Top-Team“-Bonus (wenngleich er nicht so eklatant ist): Insgesamt werden laut der Studie dem kleineren Club um rund 40 Prozent seltener berechtigte Elfmeter zugesprochen.
Übriges gibt es auch einen deutlichen Heimvorteil, vor allem dann, wenn das Heimteam Favorit auf drei Punkte ist. Dabei wirkt die Kulisse auf die Schiedsrichter*innen ein, der soziale Druck beeinflusst die Entscheidungen. Dieser Einfluss nimmt zu, je mehr Personen im Stadion sind und je enger es ist. Das äußert sich unter anderem in weniger Fouls und Karten für das Heimteam, weniger Elfmeterpfiffe für das Gastteam und sogar einer Veränderung der Nachspielzeit (Avugos, 2024). Spielt der FCSP also in Dortmund, so wird er, wie auch alle anderen Gästeclubs, benachteiligt. Da sollte man den Schiedsrichter*innen keinen Vorwurf draus stricken, sich davon beeinflussen zu lassen ist nur menschlich und die schlimmste Vorstellung ist, dass gefühlskalte Maschinen Fußballspiele leiten. Aber die Tatsache ist ein klarer Grund dafür, dass das Millerntor möglichst viel Alarm macht bei den Heimspielen.
Wichtig: Die Studie zum „Bayern-Bonus“ stammt aus dem Jahr 2016. Sie ist also vor Einführung des VAR entstanden. Das gilt auch für viele weitere Studien zum Heimvorteil (der sich aber extrem gut nachweisen ließ, als es aufgrund der Pandemie viele Geisterspiele gab und der Heimvorteil plötzlich nachließ). Es ist zu hoffen, dass der VAR die strukturelle Benachteiligung kleinerer Clubs zumindest in entscheidenden Situation etwas entgegenwirkt. Da der DFB in Sachen Schiedsrichter-Entscheidungen insgesamt aber eher intransparent agiert, sucht man eine solche Auswertung vergeblich. Schade, weil das eines der seltenen Argumente für den VAR sein könnte.
Doch selbst wenn kleinere Clubs bei Entscheidungen, in denen der VAR eingreifen darf, nun etwas weniger benachteiligt werden sollten, so ist zumindest die Vermutung naheliegend, dass das bei Zweikämpfen im Mittelfeld nicht so aussieht. Einen wissenschaftlichen Beweis zu erbringen, ob es eine strukturelle Benachteiligung kleinerer Clubs bei 50/50-Entscheidungen gibt, dürfte aber unmöglich sein. Genau um diese ging es dem FC St. Pauli aber, als er sich über die Schiedsrichter-Leistungen in Bochum (Blessin: „Schiedsrichter hat tendenziell für Bochum gepfiffen.“) und Mainz (Wahl: „Ich fand, die Mainzer konnten jedes Mal in unseren Körper springen. Das wurde nicht abgepfiffen.“) echauffierte.
Es ist also alles nicht so einfach. Der FC St. Pauli ist in dieser Saison sicher bisher nicht bevorteilt worden. Aber es deutet auch nichts darauf hin, dass er klar benachteiligt wurde. Den größten Einfluss auf das Ergebnis hat sowieso der FCSP selbst, das hat Alexander Blessin vor allem in ruhigeren Momenten (nicht emotionsgeladen direkt nach Abpfiff) auch immer wieder betont. So bleibt von diesem Artikel hauptsächlich die Erkenntnis: Wir sollten, auswärts wie zuhause, maximal laut und energisch sein im Stadion – dann können wir die Entscheidungen zu unseren Gunsten beeinflussen.
// Tim
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