Borussia Dortmund
·9 mars 2025
Borussia Dortmund
·9 mars 2025
Viermal musste der BVB in seiner langen Europapokal-Historie zum Elfmeterschießen antreten. Einmal sogar in Frankreich. Mit einem Happy-End in Schwarz und Gelb. Stefan Klos, Bodo Schmidt und Uwe Grauer erinnern sich.
Borussia Dortmund hatte am letzten Spieltag der Saison 1991/92 nur um fünf Minuten die Deutsche Meisterschaft verpasst. Statt in die neue Champions League ging es für den Vizemeister in den UEFA-Pokal, von Franz Beckenbauer als „Cup der Verlierer“ verspottet, der sich für Schwarzgelb als Glücksfall und Goldgrube zugleich erweisen sollte und das wirtschaftliche und damit einhergehend das sportliche Fundament legte für die Meisterschaften 1995 und 1996 sowie den Gewinn der Champions League 1997. Denn ab den Viertelfinals in den drei europäischen Pokalwettbewerben war der BVB der letzte verbliebene deutsche Klub und teilte den Geldtopf praktisch mit sich selbst. Je länger Borussia im Wettbewerb blieb, desto üppiger die Ausschüttungen.
Nach Erfolgen über La Valetta (1:0, 7:2), Celtic Glasgow (1:0, 2:1), Real Saragossa (3:1, 1:2) und AS Rom (0:1, 2:0) war Borussia Dortmund ins Halbfinale vorgedrungen. Gegner war AJ Auxerre, in jener Zeit die Nummer drei oder vier in Frankreich, 1995 sogar Meister. Das Los hatte dafür gesorgt, dass der BVB das Hinspiel zuhause austragen musste.
Nach torlosem ersten Durchgang erzielte der eingewechselte Steffen Karl in der 58. Minute das 1:0. Kurz danach hatte Kapitän Michael Zorc die Chance, auf 2:0 zu erhöhen, doch der sonst so sichere Elfmeterschütze vergab die große Chance vom „Punkt“. Die folgenden 30 Minuten konnte man dann getrost unter das Motto „Zorc gegen Auxerre“ stellen, denn der Mittelfeldspieler rackerte und kämpfte, um seinen Fehlschuss zu revidieren. In der 87. Minute traf er dann per Kopf tatsächlich zum 2:0.
2.500 „Schlachtenbummler“ aus Dortmund wurden zum Rückspiel am 20. April 1993 mit einer selten erlebten Herzlichkeit begrüßt. Die Freundschaft indes endete mit dem Anpfiff des belgischen Schiedsrichters Frans van den Wijngaert im Stadion „Abbe Deschamps“. Denn die von Auxerres Trainerfuchs Guy Roux nach der 0:2-Hinspielniederlage glänzend einstellten Platzherren ließen den Dortmundern kaum Luft zum Atmen. „Steffen Karl und Michael Zorc hatten uns mit ihren beiden Toren im Hinspiel eine ganz gute Ausgangsposition beschert, doch dieses Polster war im Rückspiel schon nach acht Minuten auf einen einzigen Treffer zusammengeschmolzen“, erinnert sich Bodo Schmidt, der gemeinsam mit Günter Kutowski die Innenverteidigung bildete. Corentin Martins traf in Minute acht zum 1:0.
„Auxerre hat von Anfang an unglaublich viel Druck gemacht“, so Schmidt. „Das Spiel war von hohem Tempo geprägt. Ein Angriff folgte auf den nächsten. Immerhin sorgten unsere Jungs weiter vorn ab und zu für Entlastung, damit wir hinten mal durchpusten konnten. Dennoch kann ich mich an kaum ein Spiel erinnern, in dem wir so sehr unter Druck standen. Ottmar Hitzfeld hatte uns bereits davor gewarnt, dass Auxerre sehr heimstark sei. Das bekamen wir zu spüren, zumal uns viele wichtige Spieler fehlten.“
Raubein William Prunier in der Innenverteidigung verschaffte sich mit seiner eigenwilligen Interpretation des Abwehrspiels Respekt, und die stark ersatzgeschwächten Borussen gerieten von einer Verlegenheit in die nächste. Folgerichtig egalisierte Frank Verlaat in der 72. Minute das Hinspiel-Ergebnis. Schmidt: „Wir wehrten uns mit Mann und Maus gegen das drohende Aus. Ich erinnere mich, dass ich irgendwie noch einen Ball von der Linie kratzen konnte. Der Spannungsbogen war irre! Wenn man im Europapokal so weit gekommen ist, dann will man auch unbedingt ins Finale.“ Mit dem Glück des Tüchtigen überstand der BVB – nach Kutowskis Platzverweis in der 99. Minute nur noch zu zehnt – die Verlängerung. „Die Aufgabe wurde dadurch bestimmt nicht leichter. Doch irgendwie schafften wir es, kein weiteres Gegentor zu kassieren“, so Schmidt.
Ein Elfmeterschießen musste die Entscheidung bringen. Und diesen „Krimi“ hat keiner vergessen, der ihn erlebt hat, live vor Ort, an den Fernsehgeräten oder vor der Großleinwand auf dem Friedensplatz. Steffen Karl, selbstbewusst wie eh und je, schnappte sich den Ball, um Strafstoß Nummer eins sicher zu verwandeln: „Der erste Schuss muss sitzen, dann wird es für die anderen leichter.“ Vahirua glich aus, Chapuisat traf zum 1:2. Und so ging es munter weiter: 2:2 Prunier, 2:3 Reinhardt, 3:3 Laslandes, 3:4 Schulz, der vor der Exekution „sekundenlang einen Herzstillstand“ ausgemacht hatte, 4:4 Verlaat, 4:5 Zorc, 5:5 Dutuel. Die nächsten Schützen mussten ermittelt werden.
Michael Rummenigge hatte sich wegschleichen wollen, als Trainer Ottmar Hitzfeld auf ihn zuging und befahl: „Du schießt jetzt, keine Widerrede. Du schaffst das.“ Ausgerechnet Rummenigge. Dem war gar nicht wohl in seiner Haut. „Ich hatte ein mulmiges Gefühl, weil ich vorher zwei Elfmeter verschossen hatte“, gestand der Edel-Techniker. Doch er nahm sein Herz in beide Hände und ließ Lionel Charbonnier im Auxerre-Tor keine Chance.
In Schmidts Kopf kreisten die Gedanken: „Mich beschlich ein mulmiges Gefühl, denn ich lief Gefahr, selbst ran zu müssen. Außer mir war nur noch ein anderer Spieler auf dem Platz, denn ein Mitspieler – den Namen verrate ich nicht – hatte sich verdrückt. Ich wollte nicht der sein, der verschießt und unseren Traum vom Finale zerstört.“ Dieser eine andere Spieler war Vertrags-Amateur Uwe Grauer, der nur aufgrund der Personalnot mitgeflogen war nach Auxerre und in der 104. Minute tatsächlich für den angeschlagenen Ned Zelic eingewechselt werden musste. „Die Spannung war mit Händen zu greifen“, erinnert sich Grauer. Der gebürtige Dortmunder kam zwischen 1991 und 1994 auf insgesamt 25 Einsätze in der Profimannschaft und auf 106 Partien für die „Amateure“, wie die U23 damals hieß. Uwe Grauer: „Dann macht Michael Rummenigge unseren letzten Elfer rein und Stefan Klos hält den letzten von denen. Was viele nicht wissen: Ich stand ja schon bereit. Ich wäre unser nächster Schütze gewesen. Michael Henke hatte mich ein paar Minuten vorher gefragt, ob ich mir das zutrauen würde – und ich hatte einfach mal genickt. Eigentlich war ich ein sicherer Elfmeterschütze, aber in so einem Moment ging mir natürlich die Düse.“
Grauer musste nicht mehr ran. Denn nachdem die ersten fünf Schützen beider Mannschaften verwandelt hatten, trat Rummenigge an und traf, wie von Hitzfeld verordnet. Als nächster Spieler war Auxerres Abwehrspieler Stéphane Mahé an der Reihe. „Ich habe mir gesagt: Jetzt ist es an der Zeit, dass du mal einen Elfmeter hältst“, berichtete BVB-Schlussmann Stefan Klos hinterher. Er wurde mit dieser Tat zum „Helden von Auxerre“ – und musste anschließend befürchten, von seinen Mitspielern und Betreuern erdrückt zu werden, die den Einzug ins Finale bejubelten. „Naja, eigentlich habe ich ja nur einen gehalten – und den auch noch sehr spät“, sprach Klos Jahre später über seine Tat: „In der Zeit danach, als die Menschen auf der Südtribüne das Lied gesungen haben, wenn wir zum Warmschießen rausgekommen sind, hatte ich jedes Mal Gänsehaut. Daran erinnere ich mich sehr gerne zurück.“
Da sich die Personalsituation nicht verbesserte, sondern noch verschlechterte, war die Mannschaft chancenlos in den beiden Endspielen (damals in Hin- und Rückspiel) gegen Juventus Turin (1:3 und 0:3). Edelmetall gab es dann erst später, und zwar reichlich ab 1995 mit zwei Deutschen Meisterschaften, dem Champions-League-Sieg und dem Gewinn des Weltpokals.
Und der am Abend des 20. April 1993 untröstliche Stéphane Mahé? Im folgenden Jahr gewann er mit Auxerre das französische Pokalfinale, später mit Paris Saint-Germain den Europapokal der Pokalsieger und in seiner vierjährigen Zeit bei Celtic Glasgow zahlreiche Titel.
Für den BVB war es das erste Elfmeterschießen auf europäischer Ebene. Drei weitere sollten noch folgen. Kommt es 32 Jahre nach dem Showdown von Auxerre erneut zum Elfmeterschießen? Wieder in Frankreich. Nun in Lille? Boris Rupert
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