
Rund um den Brustring
·9 mars 2025
Ein Schritt zurück

Rund um den Brustring
·9 mars 2025
Dem VfB fallen immer wieder neue Methoden ein, wie er im Kampf um Europa Punkte liegen lassen kann. Abgesehen von individuellen Patzern war der Auftritt in Kiel aber in vielerlei Hinsicht nach dem Spiel gegen München ein Rückschritt.
Wenn man das Positive am 2:2 beim Aufsteiger und Abstiegskandidaten aus Kiel sehen möchte, könnte man anders als sonst mal die Chancenverwertung nennen: Zwei Mal prüfte die Mannschaft mit dem Brustring Kiels Torhüter Timon Weiner, beides Mal lag der Ball im Netz. Und dann trafen auch noch zwei Sorgenkinder der Offensive. Erst Jamie Leweling mit einem Powerschuss wegen dem wir ihn im Podcast letzte Saison mal Captain Leweling genannt haben. Und dann Ermedin Demirovic mit seinem neunten Saisontreffer nach engagierter Vorlage von Nick Woltemade. Das Problem: Der VfB brachte in über 90 Minuten nur vier weitere Schüsse zustande. Karazor köpfte vorbei, die Schüsse von Undav und Demirovic wurden direkt abgeblockt.
Angesichts der Vielzahl und der Qualität der Kieler Chancen mussten die Gäste am Ende sogar noch froh sein, in diesem Spiel einen Punkt mitgenommen zu haben. Wer die Vorgeschichte des Spiels kennt, könnte nun versucht sein, das auf die Ausfälle von mit Jeltsch, Chabot, Jaquez, Chase, Al-Dakhil und Zagadou sechs Innenverteidigern zurück zu führen. Oder lag es daran, dass der VfB einen Großteil der zweiten Halbzeit in Unterzahl verbrachte? Nein, die Probleme liegen tiefer begraben — und sind eigentlich ganz offensichtlich. Denn der VfB macht mal wieder klassische VfB-Dinge.
Früher war es nämlich gang und gebe, dass man sich nach einem guten, aber erfolglosen Spiel gegen Spitzenmannschaften am nächsten Wochenende zurücklehnte und dann ganz überrascht war, dass man gegen den Vorletzten die gleiche Intensität an den Tsg legen muss, wie gegen den Tabellenführer. Das schien eigentlich mit der letzten Saison abgelegt, es drängt sich aber immer mehr das Gefühl auf, dass jene Spielzeit nicht nur vom Ergebnis her außergewöhnlich war, sondern auch vom Verlauf und der Entstehung. Die Erkenntnis, dass vieles letztes Jahr auch deswegen so gut lief, weil alles zusammen kam und man eine Welle des Erfolgs ritt, scheint noch nicht bei allen im Verein angekommen zu sein.
Zum Beispiel bei Trainer Sebastian Hoeneß, der seit dem 1:0‑Auswärtssieg in der Rückrunde der Vizemeister-Saison der festen Ansicht ist, es sei eine gute Idee, Angelo Stiller in die Innenverteidigung zurück zu ziehen und Enzo Millot auf die Sechs. Oder seiner sowieso schon verunsicherten Mannschaft nicht nur einen unvermeidbar Personal‑, sondern auch einen unnötigen Formationswechsel auf eine Dreierkette. Als Folge wackelte nicht nur der zuletzt sonst stabile Ramon Hendriks als linker Halbverteidiger. Leonidas Stergiou leitete mit dem nächsten Stockfehler eines Verteidigers die Unterzahl und beinahe das dritte Gegentor ein und Stiller fehlte als Dreh- und Angelpunkt im Mittelfeld, während der diesmal etwa agilere Enzo Millot außer bei der Vorlage für Jamie Leweling seiner Offensivgefahr beraubt wurde.
Oder bei Deniz Undav, der seit Wochen trotz Formkrise eine Startelfgarantie hat, außer schlecht getimten Schüssen ein bisschen Körper reinstecken nichts Zählbares zustande bekommt. Das ist, bei aller Sympathie, für den teuersten Spieler der Vereinsgeschichte mit dem höchsten Gehalt im Kader zu wenig. Und nicht nur, was die Zahlen angeht, sondern auch im Hinblick auf die Vorbildrolle auf dem Platz. Undav ist nicht mehr der Spaßvogel mit der ungewöhnlichen Karriere, der die 28 Tore von Serhou Guirassy um eigene Tore ergänzt. Er ist Führungsspieler für die Mannschaft und Identifikationsfigur für die Fans, trat aber zuletzt kaum noch so auf. In Kiel brach Sebastian Hoeneß immerhin mit der Gewohnheit der letzten Wochen, als er nicht nur bereits zur Pause wechselte, sondern auch noch seinen Wunschspieler (und den eines Aufsichtsrates) vom Platz nahm.
Das gilt aber auch für die gesamte Mannschaft, die zum unglaublichen vierten Mal in Folge eine Führung verspielte, drei Mal in den letzten vier Spielen geriet man sogar in Rückstand. Immer wieder geht die Mannschaft wie selbstverständlich davon aus, dass auf das erste Tore, wie vergangene Saison, auch das zweite folgen wird und verliert dabei konstant an Spannung und Konzentration. Gegen Wolfsburg ließ man sich auskontern, gegen Hoffenheim patzte Chabot, gegen die Bayern Nübel, Stiller und Vagnoman, in Kiel Hendriks und Stergiou Dabei lässt die Mannschaft absolute Grundlagen wie ein sauberes Aufbauspiel oder das Verteidigen von Ecken immer mehr schleifen. Bezeichnend, dass die Intensität erst in Unterzahl einsetzte.
Damit rückt der VfB den Europapokalplätzen angesichts der Ergebnisse der Konkurrenz zwar sogar eine Platzierung näher, droht jene aber mit dieser Mischung aus Dusseligkeit und Fahrlässigkeit, die man zuletzt an den Tag legte, in den nächsten beiden Spielen gegen Leverkusen und in Frankfurt zu verspielen — von der großen Chance auf das Pokalfinale ganz zu schweigen. Währenddessen schiebt sich Mainz mit so Tieffliegern wie Dominik “Ich sens alle um, auch meinen eigenen Torwart” Kohr und Nadiem “Ich feier mich für nen geschenkten Elfer vor der gegnerischen Kurve” auf Platz 3. Und das nicht nur mit dem nötigen Momentum, sondern auch völlig zurecht wegen der Gier und der Kompromisslosigleit, die Bo Henriksen der Mannschaft eingeimpft zu haben scheint. In Stuttgart hingegen sah man gegen Bayern noch einen Schritt in die richtige Richtung, nach dem Remis in Kiel konstatierte Sportvorstand Fabian Wohlgemuth, dass die Richtung “nicht ganz” stimme.
Möchte man aus dieser nächsten verpassten Chance Lichtblicke ziehen, dann sind es das Ende der Torflaute von Ermedin Demirovic, die weiter anhaltende gute Form von Nick Woltemade und die Rückkehr von El Bilal Touré. Sie alle könnten im Saisonendspurt zu einem entscheidenden Faktor werden, wenn sich auch Trainer und die Mannschaft insgesamt im Kopf endgültig von der letzten Saison verabschieden. Dass die Entwicklung vom Relegationsteilnehmer zum Vizemeister rasant war, ist jedem klar. Fraglich ist aber, wie viele Schritte man in diesem Jahr auf einmal gemacht hat und wie viele der Club jetzt in einer nicht außergewöhnlichen Saison wieder zurück macht oder machen muss. Wie bereits angesprochen waren — bei allen Einnahmen — die Investitionen in den Kader eigentlich zu groß, um lediglich die früher vielbeschworene ruhige Saison zu spielen. Solange der Verein aber nicht wie vor 15 Jahren nachhaltigen finanziellen Schaden davon trägt, kann man einen Schritt zurück aber auch nutzen, um neu Anlauf zu nehmen. Für das Finale dieser Saison, aber auch für die kommenden Jahre.
Zum Weiterlesen: Auch der Vertikalpass blickt ambivalent auf das Spiel und die aktuelle Situation, mahnt einerseites zum Optimismus, fordert andererseits aber ein Ende des Kuschelkurses.
Titelbild: © Joern Pollex/Getty Images