MillernTon
·8 novembre 2024
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·8 novembre 2024
Es ist die schwerste aller Aufgaben in der Bundesliga, die dem FC St. Pauli bevorsteht – aber auch die schönste: Der FC Bayern München kommt ans Millerntor.(Titelfoto: Stefan Groenveld)
Bevor wir zum Spiel selbst kommen, eine wichtige Info: Es wird in der Halbzeitpause der Partie eine gemeinsame Choreo beider Fanszenen geben. Anlass ist der Jahrestag der Reichsprogromnacht. Dabei wird an jüdische Sportler*innen des FC St. Pauli erinnert.
Die Historie der Partien zwischen dem FC St. Pauli und dem FC Bayern München kommt aufgrund der Anzahl nicht sonderlich üppig daher. Doch die Spiele selbst haben einige Geschichten geschrieben. Und das auch bereits in Zeiten, als der FCSP noch bei weitem nicht das war, was er heute ist. Lest es am besten selbst: The Story So Far: FC St. Pauli und FC Bayern München
An der Personalsituation hat sich in den letzten Tagen beim FC St. Pauli nichts geändert. Elias Saad, Philipp Treu, Connor Metcalfe, Simon Zoller und drei Torhüter werden weiterhin fehlen. Alexander Blessin berichtete auf der Pressekonferenz vor dem Spiel aber, dass die Verletzung von Philipp Treu weniger schlimm sein könnte als befürchtet und dass es Hoffnung gibt, dass er beim Gladbach-Spiel wieder dabei ist.
Auch Connor Metcalfe wird für das Spiel gegen den FC Bayern ausfallen. Zwar mache er „kleine Fortschritte“, aber bei seiner Verletzung im Schambereich müsse man sich, so Blessin, „langsam rantasten“ und entsprechend ist eine Prognose hier nur schwer möglich.
Auf Seiten des FC Bayern werden vor allem Spieler aus der eigenen Defensive fehlen: Innenverteidiger Hiroki Ito laboriert an einem Mittelfußbruch, die beiden Rechtsverteidiger Sascha Boey (Meniskusriss) und Josip Stanisic (Außenbandriss Knie) fallen ebenfalls aus und Sechser Aleksandar Pavlovic hat sich das Schlüsselbein gebrochen. Ansonsten sind alle einsatzbereit, was natürlich gerade mit Blick auf die Offensive der Bayern für den FC St. Pauli ein ziemliches Brett ist.
Nachdem der FC Bayern München in der Vorsaison für seine Verhältnisse ziemlich schwache Phasen hatte, ist er unter der Leitung von Vincent Kompany wieder das, was er nach seinem Selbstverständnis auch sein möchte: Das sportlich beste Team der Bundesliga. Bevor der nun folgende Blick auf die Spielweise des FCB den Eindruck einer Kapitulation erweckt, sollte man es lieber mit den Worten von Alexander Blessin halten: „Wir wissen genau, was für ein starker Gegner auf uns zukommt. Aber wir haben in den letzten Wochen gerade gegen Top-Teams gut performt.“
Lars Ritzka wird am Samstag die linke Schienenposition beim FC St. Pauli bekleiden – und es dabei unter anderem mit Jamal Musiala zu tun bekommen. // (c) Stefan Groenveld
Wie gut der FC Bayern München aktuell drauf ist, zeigte sich gerade erst am Mittwoch, als Benfica Lissabon in München zu Gast war und nicht den Hauch einer Chance hatte (im wahrsten Sinne des Wortes, denn es gab keinen einzigen Torschuss der Gäste). Das ist tatsächlich auch etwas, was angesichts von bisher 32(!) Münchener Toren in neun Bundesliga-Partien etwas untergeht: Der kumulative xG-Wert der Gegner liegt bei unter sechs. Das zweitbeste Team der Liga in dieser Statistik (Freiburg) hat einen Wert von knapp unter elf. Der Rekordmeister aus München ist also vor allem defensiv richtig, richtig stark. Und so sind die Worte von Thomas Müller nach dem Benfica-Spiel auch als eine Art Drohung an gegnerische Offensivreihen zu verstehen: „Wir haben Lust, wir haben Bock. Wir wollen da weitermachen, wo wir aufgehört haben.“
Die letzten drei Ligaspiele der Bayern endeten 4:0, 5:0 und 3:0. Dazu der 1:0-Erfolg gegen Lissabon und ein 4:0 im DFB-Pokal gegen Mainz – hui! Das spricht natürlich für eine sehr gute Form der Bayern. Aber es ist auch nicht so, dass sie unantastbar sind. Im Gegenteil: Die Spiele gegen Barcelona (1:4) und Frankfurt (3:3) haben gezeigt, dass Bayern München vor allem nach Kontern anfällig ist. Alexander Blessin erklärt dazu zwar, dass der FC St. Pauli wohl nicht mit der Geschwindigkeit von Barcelona und Frankfurt mithalten könne, aber eben auch: „Wenn sie Ballverluste haben, dann stehen sie schon sehr hoch.“ Genau hier sieht er Chancen für sein Team, „Nadelstiche zu setzen“ (diese Worte nutzt er übrigens ziemlich gern), allerdings nur dann, wenn „wir nicht in ihre Vorwärtsverteidigung reinspielen.“
Denn das hat man in den letzten Spielen der Bayern auch gut erkennen können: Das Team von Kompany ist vielleicht anfällig in Umschaltmomenten, allerdings liegt auch genau hier eine Stärke des Teams. Nach Ballverlusten wird konsequent hoch und mannorientiert gepresst, das Müncher Defensivverhalten ist für alle Gegner extrem unangenehm und der Druck sehr hoch. Für viele Teams war dieser Druck zu hoch, sodass der FCB einige Ballgewinne im letzten Spielfelddrittel generieren konnte. Und „einige“ ist dabei untertrieben, denn kein Team gewann in dieser Saison bisher mehr Bälle im gegnerischen Drittel als der FC Bayern München. Das Risiko, hoch zu stehen und dann nach Ballverlusten möglichst vorwärts zu verteidigen, kann also zu einem Problem werden, ist aber mindestens genauso oft eines für den Gegner -weil der FCB dann gegen eine eher unsortierte Mannschaft spielen kann. Blessin jedenfalls hofft, dass sein Team Lösungen findet, wie man Nadelstiche setzen kann und mit seinen eigenen Offensivaktionen nicht ins offene Messer rennt.
Gut gegen den Ball arbeiten kann aber auch der FC St. Pauli. Viele, vor allem die Top-Teams, hatten bisher Probleme, den tiefen 5-4-1/5-2-3-Block des FCSP zu knacken. Auch der FC Bayern München könnte sich damit schwertun. Allerdings ist die individuelle Qualität der FCB-Offensive ungleich höher als bei allen bisherigen Gegnern des FC St. Pauli. Das Team von Kompany ist es zudem gewohnt, gegen tiefstehende Gegner zu agieren, diese Spielweise begegnet ihnen in etwa 28 von 34 Ligaspielen pro Saison. Seit Jahren. Und seit Jahren ist es auch stets gelungen, Lösungen gegen diese Spielweise zu finden, anders als zum Beispiel Dortmund oder Leipzig.
Vincent Kompany hat im Sommer einen schwierigen Trainerposten übernommen, konnte aber bisher als Trainer des FC Bayern München oft überzeugen, wenngleich es auch bereits empfindliche Niederlagen gab. // (Alex Grimm/Getty Images/via OneFootball)
Das hängt sicher auch mit taktischen Mustern zusammen. Das Team setzt unter der Leitung von Kompany auf viele Rotationen, besonders im Mittelfeld, sodass die kreativen Spieler nur schwer für die Gegenspieler zu greifen sind. Und selbst wenn, dann reicht es oft nicht, wenn man mit nur einem Spieler ins Duell geht. Blessin erklärt am Beispiel von Jamal Musiala, dass es mehr braucht, als gegen viele andere Teams: „Es wird mit Raumdeckung nicht funktionieren. Ihn (Musiala, A.d.R.) aufdrehen und in ein offensives 1-gegen-1 zu lassen, sollten wir vermeiden. Da muss dann jemand dazu kommen. Das birgt natürlich immer wieder die Gefahr, dass dann woanders ein Raum entsteht und da bewegen sie sich sehr clever. Das gilt es zu unterbinden. Das ist verdammt schwer.“Für den FC St. Pauli wird es also auf eine gute Abstimmung im Defensivverbund ankommen und Blessin sagte dazu den schönen Satz: „Wir müssen uns reinkämpfen und die individuelle Qualität durch mannschaftliche Geschlossenheit egalisieren.“
Dabei muss aber auch allen klar sein, dass es sehr unwahrscheinlich ist, in dauerhaftem Verteidigungsmodus gegen Bayern München Zählbares zu holen. Es braucht Entlastung, besonders für den Kopf. Entsprechend erklärt Blessin, dass man die Gegenspieler nicht permanent stressen könne, sich vielmehr auf Zonen konzentrieren müsse: „Sie können den Ball haben im Aufbauspiel, wo es uns nicht wehtut. Aber da wo sie gefährlich werden, gerade in den Halbräumen, so 20-25 Meter vor dem Tor, da müssen wir richtig hart dran sein.“ Zudem sei es auch nötig, dass man sich Ruhepausen erarbeite, zum Beispiel in Form von Standardsituationen. Dass der FC St. Pauli mit einem so krassen Fokus auf die eigene Arbeit gegen den Ball erfolgreich sein kann, habe man gegen Leipzig und Dortmund gesehen.
Genug mit der Lobhudelei des Gegners. Alexander Blessin gibt den Weg vor: „Wir wollen nicht in Ehrfurcht erstarren, sondern unsere Chancen auch nutzen.“ Dass man diesen Satz so oder so ähnlich von den meisten Bayern-Gegnern vor den Spielen hört, weiß auch der FCSP-Coach. Entsprechend ergänzt er: „Darüber zu reden ist das eine, das umzusetzen, ist das andere.“ Damit man gegen den FC Bayern München erfolgreich ist brauche es „viele, viele Komponenten“, vor allem die „mannschaftliche Geschlossenheit.“ Generell gelte dabei: „Je länger die Null steht, desto besser ist es für uns.“ Damit das gelingt, müsse man leiden und es gehöre natürlich auch Matchglück dazu, „weil man Bayern nicht über 90 Minuten vom Tor weghalten kann. Das ist einfach unmöglich.“
Genug der Lobhudelei hatte Alexander Blessin dann auch von, *hüstel, einem Reporter auf der Pressekonferenz, der dem FC St. Pauli geringe Chancen auf einen Erfolg am Samstag zurechnete. Die mit einem Augenzwinkern verteilte Rüge vom FCSP-Cheftrainer habe ich mir gerne abgeholt und lasse mich mindestens genauso gerne vom Gegenteil überzeugen. Sind die Chancen gering? Ja! Muss wirklich alles, alles, alles perfekt zusammelaufen, damit der FC St. Pauli gegen die Bayern punkten kann? Aber hallo! Der FCSP hat aber aufgrund seiner bisherigen Leistungen in der Bundesliga überhaupt keinen Grund, sich zu verstecken.
Eine personelle Veränderung ist denkbar beim FC Bayern München: Raphael Guerreiro könnte Konrad Laimer auf der rechten Außenverteidiger-Position ersetzen. Mehr Veränderungen sind nicht zu erwarten. Denn im Gegensatz zu vielen anderen Clubs, die auf internationalem Parkett unterwegs sind, wird beim FC Bayern München eher selten rotiert. Es darf also davon ausgegangen werden, dass der FCB mit einer ähnlichen Startelf wie am Mittwoch gegen Lissabon auflaufen wird.
Das bedeutet also, dass man es offensiv mit Harry Kane, Jamal Musiala, Michael Olise und Serge Gnabry zu tun bekommen wird. Und es bedeutet, dass Thomas Müller, Kingsley Coman und Leroy Sane auf der Bank sitzen werden, was eigentlich bereits alles darüber aussagt, in welch anderen Sphären der Rekordmeister unterwegs ist und das selbst ein kräftiges Rotieren der Münchener nicht dazu führen wird, dass sich an der Favoritenrolle etwas ändert.
Erwartete Aufstellung beim Spiel FC St. Pauli gegen FC Bayern München:
FCSP: Vasilj – Saliakas, Wahl, Smith, Mets, Ritzka – Wagner, Irvine – Afolayan, Eggestein, Guilavogui
FCB: Neuer – Guerreiro, Upamecano, Kim, Davies – Kimmich, Palhinha – Olise, Musiala, Gnabry – Kane
Auf Seiten des FC St. Pauli könnte es zwei personelle Veränderungen geben. Eine davon ist sicher: Lars Ritzka wird den verletzten Philipp Treu auf der linken Schienenposition ersetzen. Die andere ist zumindest vorstellbar: Robert Wagner könnte anstelle von Carlo Boukhalfa im defensiven Mittelfeld agieren. Alexander Blessin hatte vor einiger Zeit mal die Unterschiede beider Mittelfeldspieler beschrieben und erklärt, dass Wagner seine Stärken in der tiefen Verteidigung (mit engen Abständen zueinander) habe, weil er dann besser in direkte Duelle kommt. Boukhalfa hat gegen Hoffenheim zweifelsohne ein starkes Spiel gemacht, doch seine Stärken gegenüber Wagner in der Offensive könnten gegen den FC Bayern München vielleicht nicht ganz so gefragt sein, wie jene von Wagner in den Zweikämpfen.
Die sportliche Herausforderung in Fußball-Deutschland könnte größer nicht sein. Den FC Bayern München am Millerntor zu empfangen ist ein großer Tag für den FC St. Pauli. Für viele Spieler des FCSP wird es sicher ein Höhepunkt der bisherigen Karriere sein, aber keineswegs eine Spaß-Veranstaltung, erklärt Blessin: „Ich will jetzt nicht sagen, die Jungs sollen reingehen und das Spiel genießen, weil das wird nicht zum Genießen sein. Wir müssen an unser Maximum gehen. Es ist ein absolutes Highlight. Ich hoffe, dass wir danach in den Spiegel schauen können und sagen ‚Hey, wir haben alles getan und es war ein geiles Spiel!'“ Genau das, Alex, genau das!
Ganz ehrlich, ich freue mich auf das Spiel wie ein 13-jähriger auf die Sommerferien. Ich freue mich darauf die Namen der Bayern-Spieler am Millerntor bei der Verlesung der Aufstellung zu hören. Weil es ein Ausdruck dessen ist, was der FC St. Pauli in den letzten Jahren erreicht hat. Und wenn alles, wirklich alles perfekt läuft, dann freue ich mich darauf, wie diese Spieler merken, dass es richtig eklig ist, gegen den FC St. Pauli zu spielen. Ich freue mich darauf, wie Jackson Irvine kompromisslos ins Duell mit Joshua Kimmich geht, wie Lars Ritzka dem völlig entnervten Jamal Musiala den Ball wieder und wieder abnehmen wird, Harry Kane seinen Meister in Eric Smith findet und Manuel Neuer mehrfach hilflos den Reklamierarm hebt. Ich liebe Dich, ich träum von Dir…Forza!// Tim
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