FC Bayern München
·4. Dezember 2024
FC Bayern München
·4. Dezember 2024
Für Schockstarre war in dieser 17. Spielminute überhaupt keine Zeit. Eben erst hatte Schiedsrichter Harm Osmers die Rote Karte gezückt, da nestelte Manuel Neuer schon ohne Widerworte seine Kapitänsbinde vom Oberarm und übergab sie an Mitspieler Joshua Kimmmich. „Das ist natürlich immer bitter“, fand Vincent Kompany später zwar, „vor allem, wenn eine Rote Karte so früh im Spiel alles beeinflusst.“ Aber der FC Bayern hielt sich nicht lang mit Hadern, mit Jammern oder Diskutieren auf. Ja, es wirkte fast, als hätte es dieses größtmögliche Unglück, das in Minute 17 über die Mannschaft und ihren Kapitän kam, gerade noch gebraucht, um die ohnehin knisternde Atmosphäre im Achtelfinale des DFB-Pokals vor 75.000 Zuschauern gegen Bayer Leverkusen noch vollends zu entzünden.
Als fehlte genau dieses letzte kleine Mosaiksteinchen, um eine wahre bayerische Urgewalt loszutreten. Einen großen, tapferen Kampf - der am Ende im Ergebnis zwar unbelohnt blieb, aber - so ähnlich formulierte es Max Eberl, der Sport-Vorstand des FC Bayern - vielleicht auch der Anbeginn von etwas ganz Großem sein könnte. Und so bedeutete jenes 0:1 (0:0) gegen den Titelverteidiger zwar rein faktisch das schmerzhafte Ausscheiden aus dem DFB-Pokal. Aber „es war Leben in dieser Leistung“, lobte Kompany, der Cheftrainer des FC Bayern. „Die Jungs haben alles gegeben.“
Der Coach nahm in der Folge Leroy Sané für Ersatzkeeper Daniel Peretz vom Feld. Der israelische Nationaltorwart bestritt erst sein drittes Pflichtspiel für den FC Bayern. Beim einzigen Gegentor von Nathan Tella per Kopf aber war Peretz absolut machtlos gewesen (69.).
Auch sonst hatte Vincent Kompany vor diesem Achtelfinale ja etwas nicht ganz Unwesentliches umstellen müssen: Mit Harry Kane fiel niemand geringeres als der Toptorjäger mit einer Muskelverletzung aus dem Ligaspiel bei Borussia Dortmund aus. „Harry hat 20 Tore gemacht, das kannst du nicht ersetzen“, hatte Kompany vor Anpfiff noch einmal erinnert. Und alle Überlegungen, den nicht zu kompensierenden Ausfall irgendwie zu kompensieren, wurden durch den Platzverweis nach nur 17 Minuten erneut über den Haufen geworfen.
Einen langen Ball von Jonathan Tah auf Jeremie Frimpong hatte Manuel Neuer ablaufen und klären wollen, stieß dabei aber mit dem Leverkusener Angreifer krachend zusammen. „Manu ist ein sehr schlauer Torwart, der normal diese Bälle riecht“, versuchte Eberl zu erklären. „In dem Moment hat es nicht funktioniert. Und dann ist das passiert, dass wir einer weniger waren.“ Am meisten ärgerte sich Neuer selbst: „Das war spielentscheidend. Es tut uns weh und es tut mir leid. Ich habe mich bei der Mannschaft entschuldigt. Ich habe in der Situation noch ein bisschen auf Abseits gehofft. Ich kann es nicht mehr ändern. Es war ein Fehler und den muss ich akzeptieren, etwas anderes bleibt mir leider nicht übrig.“
Noch auf dem Feld aber versuchte der Kapitän, seine Mitspieler aufzubauen und zu motivieren, „ihnen klarzumachen“, so der Keeper, „dass wir es trotzdem schaffen können“.
Das nahm die Mannschaft wörtlich: Anstatt sich einzuigeln und alle Hoffnungen der Welt auf Konter zu setzen, setzte der FC Bayern weiterhin auf Dominanz. Gespickt mit einer ungeheuren Aggressivität und einem unbändigen Willen schien das alles Wírkung zu entfalten wie der gallische Zaubertrank aus den Asterix-Heften, der jeden einzelnen Spieler nun bis in die Haarspitzen motivierte.
Diese Leidenschaft übertrug sich sogar noch auf die Tribüne. An jedem Zweikampf, an jedem Laufduell, an jeder Nicklichkeit – und davon gab es so einige - und an jedem einzelnen Angriff der nun in Unterzahl agierenden Mannschaft, entzündete sich das Feuer des Publikums aufs Neue wie an einer ölgetränkten Zündschnur: es knisterte, es knallte, es elektrisierte in der Allianz Arena von der Grasnarbe bis hinauf unter das feuerrotleuchtende Arenadach.
„Unsere Fans haben uns angeschoben“, fand Vincent Kompany beeindruckt, „und wir haben es ihnen zurückgegeben mit unserem Einsatz. Es war eine großartige Atmosphäre.“ Die Energie von den Rängen hob die Spieler auf den Rücken des Publikums, das sich anmachte, seine Mannschaft nach vorn zu tragen. Leverkusen, wohlgemerkt Meister und Pokalsieger und ein Spieler mehr auf dem Feld, wusste zeitweise überhaupt nicht mehr, wie ihnen geschah: „Es ist nicht einfach, hier zu bestehen. Auch mit einem Mann mehr haben wir es nicht immer gut gemacht“, gestand Nationalverteidiger Jonathan Tah. „Wir haben es nicht hinbekommen, dass man gemerkt hat, dass wir einer mehr sind“, gab Robert Andrich zerknirscht zu.
Und so nahm das eben noch zu elft drückende Übergewicht der Münchner zwar zu zehnt etwas ab. Aber bis Spielschluss hatte der FC Bayern dennoch 60 Prozent Ballbesitz, 18:13 Ballaktionen im gegnerischen Strafraum, 14:11 Torschüsse und 12:4 Eckbälle gesammelt. „Wir haben extrem viel investiert in dieses Spiel“, unterstrich Sport-Vorstand Max Eberl: „Die Reaktion der Mannschaft nach dem Platzverweis war herausragend. Der Charakter, die Qualität mit zehn Mann gegen den amtierenden Meister und Pokalsieger, die letzte Saison alles an die Wand gespielt haben, das hat mir schon sehr imponiert.“
Konrad Laimer, Joshua Kimmich, Jamal Musiala – sie alle rannten, grätschten, kämpften bis zum Umfallen. „Was die Jungs heute geleistet haben, ist wirklich nicht selbstverständlich“, sagte Vincent Kompany. „Ihr Einsatz war über weite Strecken beeindruckend und zeugt von großem Charakter.“ Ersatz-Kapitän Kimmich war zwar tief enttäuscht über das Pokal-Aus, aber auch stolz: „Wir hätten auch mit elf Mann nicht viel besser und dominanter sein können“, fand der Antreiber. „Das war heute eine unserer besten Leistungen bisher, gerade gemessen am Gegner. Ich hoffe, dass uns das anstachelt.“
So blieb das einzige Manko am Ende die Chancenverwertung. Denn egal wie der FC Bayern den Ball aufs Leverkusener Gehäuse brachte – vor allem immer wieder nach Standardsituationen – die Kopfbälle und Schussversuche fanden nicht den Weg ins Tor, wurden gerade noch abgegrätscht oder auf der Linie geklärt. Ganz anders die Gäste, denen eine einzige Unachtsamkeit in der Bayern-Defensive zum Goldenen Tor reichte. „Die Mannschaft hat exzellent gespielt“, lobte auch Präsident Herbert Hainer voller Stolz - trotz des Ausscheidens. Aber auch weit nach Spielschluss galt: Schockstarre ist nicht angebracht.
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