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Max von Stuckrad-Barre·20. Mai 2023
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Max von Stuckrad-Barre·20. Mai 2023
Na, Lust auf einen unerträglichen Ohrwurm aus den Sechzigern? Nein? Egal:
Erstens wünschen wir viel Spaß beim Versuch, heute noch einen klaren Gedanken zu fassen, der nicht von den Worten „One is the loneliest number“ begleitet wird. Zweitens wollen hier natürlich keinem weismachen, dass die Band ‚Three Dog Night‘ bei der Komposition von ‚One‘ mit dieser berühmten Zeile irgendwie auch an Fußball-Torhüter gedacht haben könnte. Das wäre ausgemachter Unsinn, schließlich wurde der Song im Original eigentlich von Harry Nilsson geschrieben.
Aber der wiederum muss großer Fußballfan gewesen sein, denn kaum irgendwo ist die Nummer eins so einsam wie im schönsten Sport der Welt.
Wenn wir aus dem obigen Foto mal kurz herauszoomen, sodass sie die vor den eigenen Fans versammelten Spieler von Hertha BSC nach der Niederlage gegen Köln zeigt, und dabei noch die Zeile One is the loneliest number im Ohr haben, möchte man meinen: Das Bild, es passt ins Bild.
Alle stehen, einer sitzt. Unter all den unglücklichen Gestalten, die geschlossenes am Boden zerstört sein ausdrücken wollten, war es am letzten Freitag vor allem Herthas Number One, der das gelang. Dabei hatte Oliver Christensen sich als einziger Herthaner bei der 2:5-Niederlage in Köln eigentlich nichts zuschulden kommen lassen. Im Gegenteil: Er wurde im Anschluss sogar ausgezeichnet.
Den fünf kassierten Gegentreffern zum Trotz nominierte der ‚kicker‘ Christensen für seine Elf des Spieltags, weil er wahrscheinlich verhinderte, dass Hertha zweistellig verlor. Was vor allem in Hälfte zwei durchaus möglich schien. Herthas Hintermannschaft, die nach Wiederanpfiff eigentlich nur noch eine abwehrgewordene Fötushaltung war, gab ihrem Keeper bisweilen im Sekundentakt Möglichkeiten, sich auszuzeichnen. Allein im Sechzehner kamen die Kölner insgesamt 26 mal zum Abschluss.
Mit Paraden, die ihn bei einem anderen Spielausgang zum Helden des Abends gemacht hätten, sorgte der Däne dafür, dass Unwissende nach der Partie in Köln zumindest beim Blick auf das Ergebnis gerade noch so davon ausgehen konnten, dass hier gerade eine Bundesliga-Mannschaft verloren hatte.
Damit, dass Christensen nun der einzige Lichtblick in der sonst finstersten Dunkelheit der aktuellen sportlichen Situation der Hertha ist, haben sich binnen kurzer Zeit der Vorzeichen geändert.
Noch vor etwas mehr als vier Wochen war es nämlich nicht nur die strauchelnde Abwehr, sondern vor allem auch der voran stolpernde Schlussmann, der Pál Dárdai das Comeback als Hertha-Coach gegen Werder Bremen versaute. Ein verschuldetes Slapstick-Gegentor, bei dem er sich von Mitchell Weiser den Ball abnehmen ließ, war nur eine von vielen Unsicherheiten, die gegen Bremen und auch schon in den Wochen davor Christensens Spiel bestimmt hatten.
„Natürlich ist es schwer für ihn. Keiner kann ihm helfen“, versuchte der auf die Fehler seines Keepers angesprochene Dárdai es im Anschluss mit Mitgefühl anstelle von Kritik. Was dabei aber vor allem durchschien: totale Ohnmacht.
Denn anders als im Falle eines ganzen Defensivverbunds, bei dem vor und nach jedem Spiel an allen möglichen Stellschrauben gedreht werden kann, bleibt dem Trainer beim Torwart eigentlich nur das Hoffen auf eine individuell bessere Leistung. Bringen muss der Keeper die allerdings allein.
Und allein ist dabei eben genau das richtige Stichwort. An der positionsbedingten Einsamkeit Christensens ändert sich nämlich auch dadurch nichts, dass die individuellen Leistungen nun, wie zum Beispiel gegen den 1. FC Köln tatsächlich besser geworden sind. In einer Mannschaft, die es in der aktuellen Form auch schwer hätte, in Liga zwei die Klasse zu halten, nützt die gute eigene Leistung dem einzigen auf Bundesliga-Niveau befindlichen Herthaner nicht nur nichts, sie isoliert ihn scheinbar sogar noch ein klein wenig mehr.
Denn während zehn Spieler in Köln eine ganze Halbzeit lang spielten, als seien sie längst abgestiegen, kämpfte einer auf völlig verlorenem Posten noch dagegen an. Und dieses Ankämpfen gegen den eigentlich schon feststehenden Niedergang beinhaltet etwas, das Christensen auch nach dem Spiel von seinen Kollegen unterscheidet: Die Fähigkeit zur Verzweiflung, die beim Rest der Mannschaft über die letzten Wochen längst einer nachhaltig kultivierten Resignation gewichen ist.
Sollte sich an diesem Gefüge vor den letzten beiden verbleibenden Bundesligaspielen nichts ändern, dürften es zwei weitere sehr einsame Nachmittage für Herthas loneliest number werden.
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